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Heft 32

Erschienen in Heft 32, durchlesen
Ressort: Rezensionen

Markus Binder:
Teilzeitrevue.

rezensiert von Heimo Mürzl

Der Attwenger-Sound

Markus Binder und Hans-Peter Falkner vom Kult-Duo Attwenger überzeugen auch als Autoren: Literatur zwischen Sprachwitz, Wortartistik, Lakonik, Nonchalance, Experiment und Nonsens.

Seit fast drei Jahrzehnten begeistert das aus Markus Binder (Schlagzeug & Gesang) und Hans-Peter Falkner (Knöpferlharmonika & Gesang) bestehende Duo Attwenger mit seinem unverwechselbaren Soundhybrid aus Volksmusik, Punk, Hip-Hop, Techno, Drum & Bass und Dialektpop. Das oberösterreichische Duo begnügte sich aber nicht damit, in schöner Regelmäßigkeit erfolgreiche und von der Kritik gefeierte Alben abzuliefern, sondern schuf sich parallel dazu ein literarisches Standbein. Während sich Hans-Peter Falkner mit großer Lust dem Sammeln und dem Verfassen von bodenständiger Lyrik und Alltagspoesie  widmet, überzeugt Markus Binder als versierter Vertreter einer assoziativ-anekdotischen Literatur, die sich aus Dialogfragmenten, Wahrnehmungssplittern, Alltagsbeobachtungen, (sprach-)philosophischen Überlegungen und episodenhaften Beschreibungen  zusammensetzt. Hans-Peter Falkners Vorliebe für Dialekt-Lyrik, wo Rhythmus und Klang
im Zentrum stehen und der Mundart-Sprachwitz die Oberhand gewinnt, zeitigte bisher drei Sammelbände mit alten und neuen Gstanzln. Der in der Bibliothek der Provinz erschienene Band 890 gstanzln ist ein Best-of der Bücher 1234 gstanzln und 567 gstanzln – beide Sammelbände sind inzwischen längst vergriffen – und ein faszinierender Beleg für die anhaltend-suggestive Wirkung und widerborstig-subversive Kraft dieser Kreuzung aus Liedform und Mundartdichtung. Die Gstanzln von Falkner spielen mit der Sprache, dass einem bei der Lektüre Hören und Sehen vergeht. Spott & Hohn, Sinn & Unsinn, konkrete Poesie & humoristische Aufsässigkeit gehen da eine literarische Liaison ein, die unterhält und zugleich zum Nachdenken anregt. Das ist viel mehr als Nonsens mit Tiefsinn. Über diese lustvoll servierte literarische Kost von Hans-Peter Falkner darf man herzhaft lachen – man darf sich aber auch gern auf ein anregendes Leseabenteuer einlassen, das ein hohes Maß an Reflexivität erfordert und eine intellektuelle Herausforderung miteinschließt.

Patchwork aus Einzeltexten

Markus Binder legt seine Literatur etwas puritanischer und experimenteller an. Der Gestus des allwissenden Erzählers ist ihm völlig fremd und sein literarisches Credo inkludiert den Vorsatz „die Sprache nicht zu sehr durch eine Handlung einzuschränken“. Binder überzeugt als literarischer Flaneur, der mit der gekonnten Verknüpfung ganz unterschiedlicher literarischer Verfahren stets mit seinem Gegenüber – dem Leser, der Leserin – in Beziehung tritt, um ihm die Augen zu öffnen beziehungsweise ihm und ihr neue  Perspektiven zu ermöglichen. Im Gegensatz zu seinem ersten Buch Testsiegerstraße verzichtet er auf Kleinschreibung ohne Interpunktionen und kehrt zum herkömmlichen Schriftgebrauch zurück, ohne jedoch herkömmlich-beliebige Literatur zu produzieren. Der Plot von Teilzeitrevue ist rasch erzählt: Ein Paar fliegt von Mexiko nach Europa, reist nach einem längeren Flughafenaufenthalt mit dem Zug in eine große Stadt, lässt sich in der Nacht von Nachtclub zu Nachtclub treiben und strandet am nächsten Tag nach einem Zwischenstopp in einem Freibad in einem Kaufhaus. Markus Binder lässt den Leser Seite für Seite teilhaben an einem Leben zwischen Selbstdarstellung, öffentlichem Sein und dem, was man wirklich ist. Einen klassischen Anfang und ein klassisches Ende hat Binders Buch nicht. Es geht ihm um Nuancen, Zwischenräume und Lücken, die der Leser im Idealfall
selbst mit Bedeutung füllen sollte. Die radikal-subjektive Wahrnehmung einer immer chaotischer wirkenden Welt und der Versuch beim Schreiben die Erfahrungen,  Beobachtungen und Betrachtungen der Einzelnen zu einem größeren Ganzen  zusammenzufügen, stehen im Zentrum von Binders Literatur. Er lässt die Gedanken schweifen, findet den passenden Sprachrhythmus und konstruiert aus Dialogfragmenten,
Alltagsbeobachtungen, Wahrnehmungssplittern, Detailbeschreibungen, gesellschaftskritischen Reflexionen und assoziativen Gedankenketten ein stimmiges (Roman-)Patchwork aus Einzelteilen. Markus Binder hat mit Teilzeitrevue ein sprachlich dichtes, gesellschaftlich relevantes, artifizielles und selbstreflexives Buch geschrieben, das man trotzdem mit großem Vergnügen liest. Ein echtes Kunststück.

Rezensionen

Buch

Werner Fiedler:
Die Apokalypse des frommen Jakob

2024: edition kürbis, S. 243
rezensiert von Hermann Götz

Zeuge gegen Jehova Werner Fiedler wollte ein Drehbuch über seine Kindheit in einer Sekte schreiben. Es ist ein dichtes Buch geworden Jakob wächst mit seiner Mutter Monika auf, die die

Buch

Stefan Schmitzer:
loop garou – invokationen

2024: Ritter, S. 96
rezensiert von Sophie Reyer

Differenzwiederholungen vom Feinsten „loop garou – invokationen“ – diesen Titel trägt Stefan Schmitzers neuer Lyrikband – und jenes besondere Wortspiel zu Beginn, das einerseits auf den französischen Werwolf („loup garou“),

Buch

Priya Guns:
Dein Taxi ist da

2023: Blumenbar, S. 329
rezensiert von Lisa Höllebauer

Rezension: Eine Taxifahrt durch Welten Wie der Titel bereits ankündigt, erwarten Sie hier bestimmt eine klassische Rezension – und ich verspreche, die kommt auch noch – aber einleitend muss ich

Buch

Kulturinitiative Kürbis Wies (Hg.):
Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen

2022: Edition Kürbis, S.
rezensiert von Hermann Götz

Der Geist von Wolfgang Bauer … … zu Gast in der schreibkraft-Redaktion. Mit einem Open Call for Minidramen hat die Edition Kürbis einen Coup gelandet: Über 160 Einreichungen zelebrierten vor

Buch

Günther Kaip:
Rückwärts schweigt die Nacht

2022: Klever, S. 140
rezensiert von Stefan Schmitzer

Vergessen, surreal erinnert Günther Kaip verdichtet Lyrik, Prosa und Zeichnungen zu einem traumhaften Ganzen. „Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit

Buch

Sabine Haupt:
Die Zukunft der Toten

2022: die brotsuppe, S. 216
rezensiert von Hermann Götz

Dreizehn Sabine Haupts Erzählband „Die Zukunft der Toten“ macht Stippvisite auf der dunklen Seite des Mondes. „Jemand musste ihn verraten haben, oder verleumdet, vielleicht auch nur verwechselt.“ Kommt Ihnen bekannt

Buch

Sarah Kuratle:
Greta und Jannis

2021: Otto Müller, S. 232
rezensiert von Hermann Götz

Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

Buch

Markus Köhle:
Zurück in die Herkunft

2021: Sonderzahl, S. 208
rezensiert von Hermann Götz

Best of Poetry Markus Köhle wird in Zurück in die Herkunft zum Plagiatsjäger seiner selbst. Ok, über Slam-Poetry bedarf es hier keiner großen Worte. Dass Poesie als performative Kunst gelebt

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