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kinderleicht

„In einer Zeit, in der Fundamentalismen aller Couleurs immer mehr um sich greifen und die eigene Privilegiertheit als deutliches Zeichen besonderer Vortrefflichkeit gesehen wird, ist die Literatur gefordert, andere Lebenswelten zugänglich zu machen.“

(Renate Welsh)

nachgefragt

„Der Tanz am Vulkan ist eine Variante des mittelalterlichen Totentanzes. Wer auf dem Vulkan tanzt, kennt die Gefahr, die droht, oder könnte sie kennen und etwas unternehmen. Im Totentanz hingegen fügt sich der Mensch der Einsicht, dass das Leben endlich ist.“

(Thomas Wolkinger)

über musik

„Kaum jemand wusste, dass der Änderungsschneider Baldauf über dreihundert Walzer komponiert hatte, die allesamt kein einziges Mal aufgeführt worden waren. Baldauf wurde erst durch das Verschlucken einer Gabel zu einer Berühmtheit ersten Ranges.“

(Daniel Wisser)

Heft 45

schreibkraft - das feuilletonmagazin

kinderleicht

Bullerbü und Berlin, Hogwarts und Pisa. Zwischen diesen (und noch vielen weiteren) Polen auf der literarischen und gesellschaftlichen Landkarte muss sich Kinder- und Jugendliteratur heute verorten. Die Erwartungshaltungen sind deutlich vielfältiger, höher und komplexer als an jede andere Art literarischer Produktion. Hohe literarische Qualität? Klar! Gute Unterhaltung? Selbstverständlich! Gesellschaftspolitische Verantwortung? Unbedingt! Patchworkfamilien, Trennung, Krieg, Fluchterfahrung, geschlechtliche Identitäten, Rollenbilder, Tod und Klimaschutz. Kein Thema, zu dem es nicht das passende Kinderbuch gibt oder geben soll. Doch ist es tatsächlich die Aufgabe von „KiJu-Literatur“, die nächsten Generationen aufs Leben vorzubereiten und gleichzeitig die Welt zu retten? Können Kinderbücher auch „nur“ unterhalten, oder schwingt dabei immer ein gesellschaftspädagogischer Ansatz mit?

Matthäus Bär & Andreas R. Peternell

Lauter Kindsköpfe

Bullerbü und Berlin, Hogwarts und Pisa. Zwischen diesen (und noch vielen weiteren) Polen auf der literarischen und gesellschaftlichen Landkarte muss sich Kinder- und Jugendliteratur heute verorten. Die Erwartungshaltungen sind deutlich vielfältiger, höher und komplexer als an jede andere Art literarischer Produktion. Hohe literarische Qualität? Klar! Gute Unterhaltung? Selbstverständlich! Gesellschaftspolitische Verantwortung? Unbedingt! Patchworkfamilien, Trennung, Krieg, Fluchterfahrung, geschlechtliche Identitäten, Rollenbilder, Tod und Klimaschutz. Kein Thema, zu dem es nicht das passende Kinderbuch gibt oder geben soll. Doch ist es tatsächlich die Aufgabe von „KiJu-Literatur“, die nächsten Generationen aufs Leben vorzubereiten und gleichzeitig die Welt zu retten? Können Kinderbücher auch „nur“ unterhalten, oder schwingt dabei immer ein gesellschaftspädagogischer Ansatz mit?

„Gut ist, was Kinder zum Lesen bringt“, meint dazu etwa Kinderbuchlektorin Melanie Becker im Interview, in dem sie auch über ihren beruflichen Alltag berichtet. Den langen Weg eines Buches von der groben Idee bis in die Buchhandlungen bzw. die strukturellen Herausforderungen ihres Berufes machen die Autorinnen Frauke Angel, Rieke Padwarthan, Renate Welsh, Verena Hochleiter und die Illustratorin Anika Voigt – in ihrer jeweiligen Ausdrucksweise – transparent. Die Literaturagentin Susanne Koppe sowie die Buchhändlerin Bianca Braunshöfer berichten in ihren Beiträgen von den Rahmenbedingungen und deren Veränderungen in der Branche.

Doch wie kommen die Bücher überhaupt ins Kinderzimmer? Wer wählt sie aus? In den meisten Fällen Erwachsene. Sie sitzen in Redaktionen, Jurys und ganz generell am längeren Ast, wenn sie Kritiken schreiben, Preise vergeben und letztlich die Geldbörse zücken. Sara Schausberger und Amelie Herold berichten über ein Gegenbeispiel: In der „Jury der jungen Leser:innen“ werden seit 1993 Bücher von Kindern und Jugendlichen selbst prämiert. Und nach welchen Kriterien werden Kinderbücher eigentlich ausgewählt? „Der Kanon hat im Kinderzimmer nichts verloren“, meint Publizistin Saskia Hödl und plädiert dafür, inhaltlich, formal und sprachlich problematische Literatur großzügig auszusortieren – auch wenn darunter der eine oder andere „Klassiker“ sein sollte. Apropos Klassiker: In der Rubrik „vergilbt, but not forgotten“ erinnern sich Pia Hierzegger, Jessica Lind, Tanja Paar, Teresa Präauer und Manuel Rubey an die wichtigsten Bücher ihrer Kindheit – und wir können verraten, sehr viele davon kommen aus Skandinavien. Aus dem hohen Norden kommt übrigens auch ein ungewöhnlicher Gesprächspartner: Im exklusiven Interview erzählt der Sambakönig vom harten Leben als (Kinder-)Romanfigur.

Das vorliegende Heft ist also eine Premiere in vielerlei Hinsicht: Erstmals widmen wir ein ganzes Heft voll und ganz der Kinder- und Jugendliteratur, noch dazu ist es deutlich konkreter als andere Ausgaben. Am Ende werden Sie also nicht nur Einblicke und neue Denkanstöße bekommen haben (wie in jeder schreibkraft-Ausgabe), Sie werden sich auch deutlich besser auskennen. Und gewinnen können sie außerdem: Die Illustratorin Jacqueline Kaulfersch gestaltete für diese Ausgabe der schreibkraft zehn im Heft verteilte Buchstabenmonster. Diese lassen sich beliebig bunt ausmalen, und – richtig aneinandergereiht – auch als ganzes Wort lesen! Wer das richtige Codewort an schreibkraft@mur.at schickt, kann ein Exemplar des Buchs „Elvis, Kate & Ziggy“, ebenfalls von Kaulfersch illustriert, gewinnen.

Bianca Braunshöfer

Der Versuch, Klarheit zu schaffen

Oder: Warum eröffnet man eine neue Buchhandlung in diesen Zeiten?

Lange bevor Katja Fetty und ich im Oktober 2022 o*books im Nordbahnviertel eröffnet hatten, keimte der Wunsch in mir, die Buchhandelslandschaft ein wenig zu verändern. Damals arbeitete ich in einer Grätzelbuchhandlung, wo ich in einige Prozesse miteinbezogen wurde. Unter anderem auch in die Kuration der Bücher, die am Lager sein sollten. Schon im Germanistikstudium habe ich gerne Kurse belegt, die sich mit Literatur marginalisierter Stimmen beschäftigten bzw. waren mir feministische Themen ein Anliegen. Trotz der Aneignung von Wissen zu dem Thema und der Entscheidung, künftig nur noch Literatur von Frauen*, FLINTAs allgemein, BIPoC und Queers zu lesen, und der Notwendigkeit, ebenjene Stimmen in den Vordergrund zu rücken, konnte ich auch in einem relativ liberalen und offenen Buchhandlungsumfeld nicht so walten, wie ich es mir vorstellte. Ich stellte es mir aber nicht nur für mich vor, sondern war der festen Überzeugung, es würde auch der Buchhandlung guttun, einen neuen Fokus zu setzen. Diesen Fokus konnte ich als ‚einfache‘ Angestellte nicht durchsetzen, die Begründung können wir uns vorstellen: Wir müssen Literatur für alle anbieten, selbst wenn wir Feministinnen sind, gibt es doch Kund*innen, die nicht Frauenliteratur lesen möchten. Was sollte das bedeuten? Frauenliteratur? Und warum wird sie nicht jedenfalls gleichwertig behandelt? Und die elendige Frage nach dem Huhn und dem Ei: Wer bestimmt das Angebot, wie entsteht Nachfrage, welche Parameter sind hierfür wichtig? Ich glaube, darauf kann ich an dieser Stelle keine Antwort geben, sie würde erschöpfend ausfallen (müssen) und dennoch bin ich der Meinung, dass wir uns nicht dem beugen dürfen, was vorgegeben wird, was laut Spitzentitelplatzierungen von Verlagen, Besprechungen von Journalist*innen und schlussendlich dem Kanon auf den Tischen liegen sollte.

Die Fülle an Literatur ist sehr schwer zu überblicken, zu bewältigen oder gar: zu lesen. Deshalb sind es wahrscheinlich – auch wenn sie am Schluss der Kette stehen – die Buchhandlungen, die einen enormen Einfluss darauf ausüben können, was gelesen wird und – bei allem Idealismus darf man darauf nicht vergessen – was gekauft wird. Letztendlich verdienen nicht nur Buchhandlungen und Verlage monetär daran, sondern auch die Autor*innen. Wenn aufgrund von Kanonisierung und den immergleichen Argumenten der Qualität und „Tradition“ nur ein gewisser Teil der künstlerischen Bevölkerung verdient, sei es an Geld, aber auch an Wertschätzung und Ruhm, so meine ich, sollten wir überlegen, wie dieser Ruhm verteilt werden kann, und uns fragen, wie wir das Angebot kuratieren, eben auch im Hinblick auf literarische Stimmen, die als „Nische“ gelten, vergessen werden oder beiseitegelegt.

 

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Susanne Koppe

Die Geschlechterfrage in der Verlagsbranche

Was war, was ist?

Seit Mitte der achtziger Jahre bin ich in der Kinderbuchbranche: In München als Journalistin, Scout und Übersetzerin, als Leiterin der Reihe Rotfuchs in Hamburg und seit 2002 als Literaturagentin in Hamburg und heute in Wien. In diesen Funktionen wurde ich insbesondere von der Frankfurter Buchmesse oder zu Tagungen immer wieder gern zu Vorträgen gebeten, und das entschiedene Lieblingsthema lautete gern: „Trends in der österreichischen / deutschen / französischen / philippinischen oder … Kinder- und Jugendliteratur“. Jedes Mal war ich ein wenig ratlos, wenn dieses Gretchen-Thema angefragt wurde: Irgendetwas konnte man dazu immer erzählen, substantiell nur mit ausreichenden Daten – aber, in welche Richtung forschen? Der Kinderbuchmarkt setzt sich aus so vielen unterschiedlichen Segmenten zusammen, aus Pappbüchern, experimenteller Lyrik und Sachbüchern aller Facetten.

In den letzten Jahren wurde ich für dieses Thema jedoch kaum mehr angefragt. Lag das vielleicht daran, dass ich mehr und mehr aus der Hamburger Kinderbuchszene nach Wien verschwand? Oder … an meinen Lebensjahren? Jetzt ist die Sache erwiesen: Mein neues Thema lautet: „Der KJL-Markt heute und gestern.“ Ich bin im biblischen Alter angekommen, um historisch reflektieren zu können. Und muss zugeben, dass ich doch gleich ein paar wild durcheinanderflatternde Assoziationen hatte. Der seit Harry Potter andauernde chronische Verlust des Stellenwerts der realistischen Kinder- und Jugendliteratur. Der Einfluss der Digitalisierung auf sämtliche Bereiche des Buchschaffens, von der Kommunikation – zu meiner Anfangszeit wurden selbst Messetermine meist brieflich vereinbart! – bis zur kreativen Arbeit. Selbst ohne KI sind die Änderungen riesig. Aber dann blieb ich bei einem Thema hängen, über das inhaltlich viel und den Buchmarkt selbst betreffend wenig gesprochen wird: Frau und Mann in der Verlagsbranche.

Auf dieser Ebene hat sich ungeheuer viel getan. Frauen haben laut nach ihren Rechten gerufen: Sie wollten beruflich in Top-Positionen kommen können. Wie empfinde ich das als Frau, die als junge Praktikantin in den leitenden Stellen fast nur Männer erlebte und in bestimmten Abteilungen wie Vertrieb und Herstellung Frauen fast nur als Zuarbeiterinnen? Wie so oft im Leben: Als einerseits und andererseits.

 

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Frauke Angel

Good cop – bad cop

Ein Fortsetzungsroman

Bevor ich Kinderbuchautorin wurde, war ich Schauspielerin. Ich habe diesen Beruf geliebt, so wie ich meinen heutigen liebe. Und so juckt es mich in den Fingern, diese Gelegenheit zu nutzen, um mich aufzuspielen. Weil ich noch dazu größenwahnsinnig bin, reicht mir eine Rolle nicht, ich schnappe mir zwei. Good cop & bad cop. Ich will Lob austeilen und Kritik üben. Und hoffe tatsächlich darauf, dass irgendwas zurück- und ans Licht kommt. Immerhin geht es hier nicht um Leben oder Tod. Es geht nur um Bücher. Und um die Menschen dahinter, okay.

Das absolut Fantastische am Schreiben ist erstmal, ich alleine entscheide, wie und worüber ich schreiben will. Bis hierhin kann mir noch niemand was. Meine Gedanken sind frei. Erst wenn es daran geht, mein Manuskript zu verkaufen, erst, wenn ich Geld für meine Arbeit haben will oder wenn ich – wie jetzt – meine Meinung darüber kundtue, lade ich andere Menschen ein, sich einzumischen. Dieser Diskurs kann ganz wunderbar sein. Oder schrecklich frustrierend. Auch herabwürdigend. Oder schmeichelhaft. Das ist nichts Ungewöhnliches. Ein Risiko besteht immer, wenn zwei oder mehrere Menschen aufeinandertreffen, um miteinander zu verhandeln. Die Bandbreite der Auseinandersetzung ist groß. Vor allem, wenn Geld ins Spiel kommt. Geld ist in der Kunst erstaunlicherweise immer so mit Pfuibah besetzt. Ich verstehe das nicht. Habe ich nie verstanden. Ich mag Geld. Ich brauche Geld. Armuts-betroffene Menschen sterben früher und haben aufgrund von Existenzängsten einen beschränkten Horizont. Die Hirnforschung bringt es auf den Punkt: Arm sein macht
dumm. Und dumme Menschen können keine klugen Bücher schreiben. Deshalb gebe ich gerne ein paar betriebswirtschaftliche Beispiele aus meinem Autorinnenleben. Ob das klug ist, ist eine andere Sache. Aber hey, aus Fehlern lernt man. Ich bin bereit dazu.

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Saskia Hödl

Zeig mir, wer ich bin

Kinderbücher sind die Grundlage jeder politischen Bildung. Gerade weil sie einen hohen Stellenwert im Leben der Kinder haben, ist es wichtig, hohe Maßstäbe an Sprache und Inhalt zu setzen

Der Kanon hat im Kinderzimmer nichts verloren. Auch wenn Sie das jetzt ärgert, lesen Sie doch noch ein bisschen weiter. Ein Kanon hat im Kinderzimmer nichts verloren, weil Lesen erstmal Spaß machen muss, bevor es anstrengend werden darf. Bevor es eine Zumutung werden darf. Bevor man ächzend nach der letzten Seite das Buch zuklappt, erschöpft, aber erleichtert, wie nach einem Zahnarztbesuch.
Jeder kennt so ein Buch, das man gelesen haben muss, aber lieber nicht gelesen hätte. Wer erwachsen ist, kann das durchaus wegstecken, aber Kinder wenden sich viel schneller vom Lesen ab. Immerhin gibt es heute einige alternative Unterhaltungsmedien, die raschere Dopaminausschüttung versprechen. Kinder sollten sich also aussuchen dürfen, was sie lesen möchten. In einem pädagogisch wertvollen Rahmen versteht sich.

Kinder sind, wie andere Menschen auch, sehr unterschiedlich in dem, was sie als gute Lektüre empfinden. Zum Glück sind aber gerade Kinderbücher so vielfältig: sie können erklären, unterhalten, nachdenklich machen und sie müssen das nie alles auf einmal. Man kann sie drehen, wenden, durch Löcher und in Klappen lugen, sie fühlen und manchmal sogar hören. Ob ein Kinderbuch gut ist, bestimmen die Bedürfnisse des jeweiligen Kindes.
Schwierig ist die Buchauswahl für ein Kind aber allemal, muss man dabei doch auch beachten, dass Kinder die Unterscheidung zwischen Fiktion und Realität je nach Alter und fantastischer Veranlagung bisweilen nicht vollständig beherrschen. So gibt es Bücher, die zwar zweifelsohne auf die Liste der besten Kinderbücher gehören, mit denen man manche Kinder aber eher jagen kann als ins Bett bringen. Eines meiner Kinder hatte über mehrere Jahre eine Heidenangst vor dem Grüffelo – ein Buch, das andere von klein auf lieben und das vergangenes Jahr von CNN auf die Liste der hundert besten Kinderbücher gesetzt wurde. Sollte ich mein Kind also zwingen, dieses Buch zu lesen, das ihm so gar keine Freude macht? Wohl kaum.

 

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Sarah Fötschl

Kinder, Bilder und Buchstaben

Wer gegen einen Baum rennt, wie Mister Aua, dem fällt ein Apfel auf den Kopf

Eine Psychologin meinte zu mir, da war mein Sohn etwa eineinhalb Jahre alt, dass auch schon Babies Babys und Kleinkinder Bücher brauchen. Ich fragte sie warum. Sie meinte: Na, weil Schuhe zum Beispiel. Alle Schuhe sehen ja anders aus. So kann man den Begriff „Schuh“ ja nicht verstehen. Ich zögerte. Ich fand das eine saudumme Aussage. Sagte aber nichts. Es sehen auch alle gezeichneten Schuhe anders aus …

Ich bin mit Büchern aufgewachsen. Wir hatten immer Bücher als Kinder. Und meine jüngeren Geschwister sahen natürlich auch die Bücher, die ich als Ältere ansah.

Als mein Sohn ein Jahr alt war, aß er Bücher noch auf. Oder er zerriss sie. Dann begann er mit einem Pappkartonbuch zu hantieren. Es war sehr kompliziert, das Ding zu klappen oder irgendwie zu halten. Sperrig blieb es hängen, er konnte es auf den Kopf setzen, an den Kanten und Ecken konnte man nagen und saugen. Der Karton zerteilte sich in viele Schichten, die man lutschen konnte.

Dass im Buch Bilder waren, bemerkte er eigentlich nicht. Es war einfach ein Ding, das man mit beiden Armen umständlich vor sich bewegen, drehen und wenden konnte und das dabei hartnäckig sperrig blieb. Irgendwann konnte man es weg werfen und sich etwas Anderes anderes suchen. Schuhe sind dreidimensional. Warum sollte etwas Zweidimensionales etwas Dreidimensionales ersetzen? Das wäre doch eine Verunglimpfung der Sinne.

 

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Karin Haller

White Collar

Klassische Kinderliteratur und Political Correctness

Wie politisch korrekt kann, soll, muss die Kinderliteratur sein? Wie sollen Klassiker an eine Sprache angepasst werden, die Menschen nicht aufgrund bestimmter Merkmale wie Geschlecht, Körpergewicht oder Hautfarbe diskriminiert? Wer befindet darüber, wie diese Sprache auszusehen hat? Wie weit gehen die Diskussionen, Änderungen, Normierungen?

Zur Klarstellung: Es ist glücklicherweise schwer vorstellbar, dass in einem 2024 geschriebenen und in einem professionellen Verlag publizierten Kinderbuch diskriminierende Begriffe für Roma und Sinti oder N-Wörter unkommentiert vorkommen – im folgenden Beitrag stehen ältere Texte und nachträglich an ihnen vorgenommene Veränderungen zur Diskussion.
Um das in jeder Hinsicht komplexe Thema einigermaßen in den Griff zu bekommen, werde ich es eingrenzen: Sprachliche Bearbeitung ja oder nein und wenn ja, wie sehr? Lässt sich diese Frage überhaupt pauschal und allgemein beantworten? Spoiler: Wenn eine rhetorische Frage so gestellt wird, lautet die Antwort darauf meistens: Nein. Weil es eben darauf ankommt, wer sie wann und wo beantwortet.

Beginnen wir mit dem Wo, weil es am einfachsten ist. Es ist nachvollziehbar, dass es einen Unterschied macht, ob die Einschätzung politisch korrekter Sprache in einem demokratischen oder einem totalitären System öffentlich geäußert wird. Stichwort: Zensur.
Aber auch das Wer ist von großer Bedeutung. Ein literarisches Werk zu schreiben und zu veröffentlichen, und als solches werden Kinderbücher hier betrachtet, bedeutet für die Beteiligten immer auch, Entscheidungen treffen zu müssen.

– Die Autor:in wählt bewusst diese oder jene Worte, um seine bzw. ihre Geschichte zu erzählen, einen Schauplatz zu gestalten, die Figuren zu charakterisieren, einen Sachverhalt zu klären.

– Der Verlag entscheidet, welche Begriffe bleiben oder verändert bzw. ganz gestrichen werden. Das tut er übrigens immer, nicht nur im Falle der sog. politischen Korrektheit, Stichwort Lektorat, dabei geht es etwa um stilistische Fragen, innere Logik oder Verständlichkeit. Ein Mainstreamverlag, dem vor allem breiter Absatz wichtig ist, wird Austriazismen wie „Polster“ oder „Jause“, nicht ohne weiteres im Buch belassen, die jenseits der Weißwurstgrenze auf Unverständnis stoßen. Ein Verlag wiederum, der auf ein hohes künstlerisches Profil und maximalen Respekt vor der ursprünglichen Wortwahl der Autor:in Wert legt, wird die österreichischen Begriffe unangetastet lassen und gegebenenfalls mit Fußnoten versehen oder in einem Glossar erklären.

– In der Vermittlung wird die Frage, welche Wortwahl angemessen ist, im Kontext der Vermittlungssituation entschieden: Eine Lehrperson, die ein Buch als Klassenlektüre einsetzt oder eine Bibliothekar:in, die es auf eine Empfehlungsliste nimmt, wirft einen anderen Blick darauf als eine Jury, die ausschließlich die künstlerischen-ästhetischen Aspekte des Werks beurteilt.

 

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Matthäus Bär & Melanie Becker

Gut ist, was Kinder zum Lesen bringt

Über künstlerische, gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Ansprüche bei der Programmgestaltung

 

Was macht eine Lektorin eigentlich den lieben langen Tag?

Das ist eine gute Frage. Dieses romantische Bild, dass eine Lektorin den ganzen Tag entspannt liest, stimmt jedenfalls nicht. Zumindest nicht immer. Man könnte sagen, dass man genau das Gegenteil von dem macht, was man sich eigentlich für den Tag vorgenommen hat, weil immer wieder etwas Neues, Unvorhergesehenes auftaucht. Als Lektorin bin ich quasi eine Projektmanagerin – ich koordiniere den Veröffentlichungsprozess eines Buches von der ersten Idee bis zum fertigen Buch. Man ist sozusagen die Hebamme, die dem Buch auf die Welt hilft. Dazu gehört, dass man viel liest, um überhaupt Texte und Konzepte zu finden, im nächsten Schritt erfolgt dann der Einkauf der Rechte, man verhandelt Verträge und Konditionen, arbeitet mit den Autoren und Autorinnen an den Konzepten und Texten oder man lektoriert die Übersetzungen und kümmert sich darum, dass die Bücher auch noch illustriert werden. Was man auf jeden Fall sagen kann: Es wird selten langweilig!

Nach welchen Kriterien wählst du neue Stoffe und Texte aus?


Das ist tatsächlich ganz unterschiedlich. Natürlich schaut man, dass es nicht bereits ähnliches schon massenweise gibt und der neue Stoff Mehrwert bietet, aber in erster Linie muss er gefallen und berühren. Sobald wir dann im Lektorat von einem Projekt überzeugt sind, stellen wir dieses dem restlichen Haus vor und dann muss der Text auch beweisen, dass er das Zeug hat, Marketing und Vertrieb zu überzeugen.

 

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Rezensionen

Buch

Werner Fiedler:
Die Apokalypse des frommen Jakob

2024: edition kürbis, S. 243
rezensiert von Hermann Götz

Zeuge gegen Jehova Werner Fiedler wollte ein Drehbuch über seine Kindheit in einer Sekte schreiben. Es ist ein dichtes Buch geworden Jakob wächst mit seiner Mutter Monika auf, die die

Buch

Stefan Schmitzer:
loop garou – invokationen

2024: Ritter, S. 96
rezensiert von Sophie Reyer

Differenzwiederholungen vom Feinsten „loop garou – invokationen“ – diesen Titel trägt Stefan Schmitzers neuer Lyrikband – und jenes besondere Wortspiel zu Beginn, das einerseits auf den französischen Werwolf („loup garou“),

Buch

Priya Guns:
Dein Taxi ist da

2023: Blumenbar, S. 329
rezensiert von Lisa Höllebauer

Rezension: Eine Taxifahrt durch Welten Wie der Titel bereits ankündigt, erwarten Sie hier bestimmt eine klassische Rezension – und ich verspreche, die kommt auch noch – aber einleitend muss ich

Buch

Kulturinitiative Kürbis Wies (Hg.):
Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen

2022: Edition Kürbis, S.
rezensiert von Hermann Götz

Der Geist von Wolfgang Bauer … … zu Gast in der schreibkraft-Redaktion. Mit einem Open Call for Minidramen hat die Edition Kürbis einen Coup gelandet: Über 160 Einreichungen zelebrierten vor

Buch

Günther Kaip:
Rückwärts schweigt die Nacht

2022: Klever, S. 140
rezensiert von Stefan Schmitzer

Vergessen, surreal erinnert Günther Kaip verdichtet Lyrik, Prosa und Zeichnungen zu einem traumhaften Ganzen. „Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit

Buch

Sabine Haupt:
Die Zukunft der Toten

2022: die brotsuppe, S. 216
rezensiert von Hermann Götz

Dreizehn Sabine Haupts Erzählband „Die Zukunft der Toten“ macht Stippvisite auf der dunklen Seite des Mondes. „Jemand musste ihn verraten haben, oder verleumdet, vielleicht auch nur verwechselt.“ Kommt Ihnen bekannt

Buch

Sarah Kuratle:
Greta und Jannis

2021: Otto Müller, S. 232
rezensiert von Hermann Götz

Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

Buch

Markus Köhle:
Zurück in die Herkunft

2021: Sonderzahl, S. 208
rezensiert von Hermann Götz

Best of Poetry Markus Köhle wird in Zurück in die Herkunft zum Plagiatsjäger seiner selbst. Ok, über Slam-Poetry bedarf es hier keiner großen Worte. Dass Poesie als performative Kunst gelebt

News

Up and coming
Werner Schandor: Flüchtiges Spiel

schreibkraft-Gründer Werner Schandor veröffentlicht seinen neuen Roman. Die Geschichte eines Spielers im Umfeld von politischen Entscheidungen, Mauschelei und viel Geld. Ein packend erzählter Roman, hypnotisch wie der Lauf der Kugel

Hans Platzgumer veröffentlicht eine kleine Geschichte der Popmusik

Hans Platzgumer, Romanautor, Essayist, Komponist, hat seit den 00er-Jahren den Schwerpunkt seines künstlerischen Schaffens weg von der Musik (KÖB, HP Zinker, Die Goldenen Zitronen, Convertible, to name a few), hin

Spotlight

Kulturland retten

Die kulturelle Zukunft des Landes Steiermark ist bedroht! Durch die schon seit Jahren sinkenden Kulturförderbudgets des Landes sowie die mangelnde fachliche Kompetenz und eine parteipolitische Besetzung des neuen Kulturkuratoriums des Landes Steiermark riskiert die Politik eine Zerschlagung der steirischen Kulturlandschaft. Dabei ist unser Land dringend auf Kunst & Kultur angewiesen: Als Werkzeug der Regionalentwicklung, als soziales Bindemittel und kritischer Spiegel, als Arbeitgeber:in und Wirtschaftsfaktor. Wir sagen Nein zu dieser kurzsichtigen Kulturpolitik und fordern eine nachhaltige Verbesserung der Rahmenbedingungen!
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Hefte

Heft 45: kinderleicht

Bullerbü und Berlin, Hogwarts und Pisa. Zwischen diesen (und noch vielen weiteren) Polen auf der literarischen und gesellschaftlichen Landkarte muss sich Kinder- und Jugendliteratur heute verorten. Die Erwartungshaltungen sind deutlich

Heft 44: nachgefragt

Diesmal machen wirs andersrum. Wird eine klassische schreibkraft-Ausgabe einem konkreten, zumeist dialektischen Thema gewidmet, an dem sich die Weisheit der Vielen abarbeiten darf, fragen wir in Heft 44 zu vielen

Heft 43: über musik

Robert Zimmermann kann nicht gut singen. Mundharmonika und Gitarre spielt er auch nicht soooo toll. Aus diesem Grund hat er auch den Literaturnobelpreis bekommen. Und nicht den Polar-Music- oder den

Heft 42: über literatur

Nein nein nein! Die schreibkraft ist keine Literaturzeitschrift. Davon gibt es eh genug. Insbesondere in Graz, der Hauptstadt hoffnungsfroher Manuskripte und nach Publikation und Perspektive lechzender Poesie, der Lichtungen im

Heft 41: wir sind lesenswert

Sie halten Heft 41 der schreibkraft in Händen. Dieses Heft ist zugleich die erste Ausgabe in der Geschichte der „schreibkraft“, die ausschließlich literarische Texte beinhaltet, denn diese Ausgabe ist ganz

Heft 40: verstörend

Es ist schon erstaunlich (und verstörend zugleich), wie lange der Mensch bereits auf Erden existiert, wie viele Jahrtausende er es geschafft hat, dieser Erde keine allzu großen Probleme zu bereiten

Heft 38: aus der welt (Doppelnummer 38/39)

„Immer dort wo Du bist bin ich nie.“ Eleganter als in diesen Zeilen, die Sven Regener für seine Band Element of Crime in anderem Kontext getextet hat, könnte man die

Heft 36: ordinär
(Doppelnummer 36/37)

Das Zauberwort pandemischer Tage heißt „Normalität“. Eben noch, also vor der Corona-Phase, das gering geschätzte Synonym für Fadheit par excellence, avanciert erlebte Norm neuerdings zum Sehnsuchtszustand. Für viele ist sie

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