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Heft 38

Erschienen in Heft 38/39, aus der welt (Doppelnummer 38/39)
Ressort: Rezensionen

Wolfgang Pollanz:
Wie ein Rabe. 66 Song- Stories.

rezensiert von Hermann Götz

Paperback Writer

Der Song als Story oder was passiert, wenn Wolfgang Pollanz Bob Dylan & Co in Prosa übersetzt.

Weltberühmt in der Steiermark ist wahrscheinlich eine zweifelhafte Einordnung. Auf Wolfgang Pollanz trifft sie aber zweifellos zu – und das in ihrer ganzen Ambivalenz. Der umtriebige Autor, Verleger und Herausgeber, Musiker und Musikproduzent, Kulturmanager und Pop-Experte verbindet das Regionale mit dem Stallgeruch der großen Welt wie kein anderer. Und beliefert so den Weltmarkt mit einer Kulturproduktion, die das weststeirische Wies zum Zentrum von etwas macht, das es genau so sonst nirgendwo gibt: eine regionalmondäne Literatur- und Musikmixtur mit ganz eigenen Klang- und Resonanzräumen. Nennen wir’s Pollanz-Pop.

Ein wunderschönes Beispiel dafür gibt Pollanz’ neueste literarische Veröffentlichung Wie ein Rabe. In seinem Untertitel – „66 Song-Stories“ – erinnert das Buch nicht zufällig an das 2013 vom Autor veröffentlichte Pop-Buch 33 Songs, in dem er sein uferloses pophistorisches Wissen in sehr subjektiv gewählten Momentaufnahmen bündelt und eine ganz eigene Geschichte dieser musikalischen Kultur erzählt. Im neuen Buch mündet eben diese Geschichte in Geschichten, die Pollanz – mal mehr, mal weniger nah an der Quelle – entlang von Songs und ihren Texten erzählt.

Große Songwriter erhalten hier kleine Denkmäler in Form von Kapiteln, die jeweils eine Reihe solcher Song-Stories umspannen: Van Morrison, Neil Young, Kate Bush, Nick Cave, Lana del Rey, Joni Mitchell, Leonard Cohen und natürlich der (titelgebende) Bob Dylan. Dazwischen eingestreut sind Stories zu einzelnen Songs von Künstlern wie George Harrison, Tom Waits oder Lou Reed. Frauen sind nicht gerade überrepräsentiert in diesem Line-up, aber das liegt in der Natur der Sache: der Geschichte und vor allem Rezeptionsgeschichte des Pop, in der sich Pollanz’ Buch verorten lässt. Songwriting – und genau darum geht es – wurde da (und wird oft immer noch) als Männerdomäne begriffen.

Vor ein paar Jahren hat das Max-Planck-Institut die Formel für den perfekten Pop-Song ermittelt (unter anderen hat am  11.11.2019 der Rolling Stone darüber berichtet): Diese liege, so die Forscher, in der Akkordfolge. Von allen am besten schneidet demzufolge der Beatles-Hit „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ ab. Ein Ergebnis, das auf wunderschöne Weise die Unzulänglichkeit der Untersuchung illustriert. Schließlich sind Songs eine Kunstform, in der dem Text wie der Musik eine Rolle zukommt. Norah Jones soll einmal etwas gesagt haben wie: Beim Versuch, den perfekten Song zu kreieren, gehe es darum, wie eine Geschichte erzählt wird. Mit Mitteln der Musik und der Poesie, ließe sich ergänzen. Oder genauer: im Zusammenspiel dieser beiden.

Dabei hat es der Song letztlich auch zur literarischen Kategorie gebracht. Hätte Herr Zimmermann den Literaturnobelpreis erhalten, wären seine Texte nicht als Songs erschienen, sondern zwischen Buchdeckeln? Hm …

Hier knüpft Wolfgang Pollanz an und kreiert etwas, das gänzlich neu auf dieser Welt sein könnte: die Song-Essenz als Prosa-Form. Ungefähr das, was ihm in „Down by the River“, in „Wuthering Heights“ oder in „Rocket Man” mittels Musik mitgeteilt wird, muss er in seinen 66 Song-Stories literarisch zur Vollständigkeit der Kunstwerke ergänzen. Er füllt also Lücken, findet einen – deutschen – Ton für jeden Song, erweitert, verdichtet, übersetzt, fabuliert. Beeindruckend deutlich tritt da hervor, was
die Poesie eines guten Songs ausmacht. Pollanz‘ meist knappe Texte funktionieren dabei gänzlich anders als die klassische Short Story, anders auch als Kurzprosa üblicherweise. Im Schlaglicht eines Drei-bis-fünf-Minuten-Spots wird vom Leben und Sterben erzählt, von der Liebe und vom Töten, von Musik und Amerika, vom Fluss, vom Meer und von der Zeit, die mit heiserer Stimme den Takt vorgibt für das Scheppern und Rumpeln der Drums, den grollenden E-Bass und alle wundersam wandelbaren Sounds der Stromgitarren dieser Erde.

PS: Am Ende des Buches, das Pollanz in Wies und auf Teneriffa verfasst hat, führt ein QR-Code direkt zu seiner poetisch  ausgewerteten Playlist.

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