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Heft 31

Erschienen in Heft 31, schreibkraft
Ressort: Rezensionen

Midnight Choir:
Amsterdam Stranded

rezensiert von Heimo Mürzl

Musikalisches Polarlicht

Auf ihrem Album Amsterdam Stranded zelebriert die norwegische Band Midnight Choir die Kunst der wahren Empfindung.

„On my road to freedom I’ve traveled alone / With no will to see / Where I went wrong”
Harbor Hope

Fünf Studioalben hat die norwegische Band Midnight Choir zwischen 1994 und 2003 veröffentlicht, ehe sie 2005 offiziell ihre Auflösung bekanntgab. Das 1998 in Lissabon aufgenommene und von Walkabouts-Mastermind Chris Eckman produzierte Album Amsterdam Stranded ist nicht nur eine Sammlung unglaublich schöner Musik, sondern auch zweifellos das Opus magnum der Band. Weltruhm war ihnen mit diesem Meisterwerk der dunkel grundierten Balladenkunst zwar nicht beschieden – aber dieser Monolith der Sehnsuchtsmusik ist reines Ohrengold und hat Bestand. Die zehn Songs sind einfühlsame und dringliche musikalische Meditationen über Trennung, Einsamkeit, Verlust, Trauer und andere Formen von Seelenpein.

Schmerz und Schönheit

Amsterdam Stranded ist zwar eine stringente Kollektion von zartbitteren Torch Songs, die vor allem von jenen Lebensmomenten erzählen, in denen das Leben einem existenzialistischen Blues gleicht – aber so schön, einnehmend, zärtlich und geschmeidig wie auf diesem Album hat Traurig- und Einsamkeit ganz selten geklungen. Auch wenn die Kunst der dunklen Sehnsuchtsballade das gesamte Album dominiert, häufig Tränen fließen und der Absturz in die Bodenlosigkeit oft bedrohlich nahe ist, gelingt es Midnight Choir stets, ein wenig Licht und Hoffnung in ihre mattschwarze Gefühlswelt zu bringen. Das hat die norwegische Band zweifellos souveränen Stilsicherheit ihres Produzenten Chris Eckman zu verdanken, der auf überzogenes Pathos und elaborierte Künstlichkeit verzichtet und Midnight Choir so davor bewahrt, in die Niederungen billiger Effekthascherei, sentimentaler Weltschmerz-Stimmung und süßlichen Kitschs abzudriften. Die zehn Songs auf Amsterdam Stranded sind Nachtfahrten durch die düsteren Regionen der menschlichen Seele, wo einem wunde Herzen, gescheiterte Träume und verlorene Individuen begegnen. Das ist atmosphärisches Klangkino, verbreitet mit epischer Opulenz Wehmut und klingt doch nie hoffnungslos, weil es der Band über die gesamte Albumlänge gelingt, eine ausgewogene Balance zwischen Schmerz und Schönheit zu halten. Diese Songkollektion ist eine gefühlsintensive Annäherung an die Seelenpein unerfüllter Träume, enttäuschter Hoffnungen und brennender Sehnsucht. Und doch ist die Klangästhetik von erhabener, mitunter herzzerreißender Schönheit und eine unverwechselbare Mischung aus Intensität, Wohlklang und Dringlichkeit macht am Ende den besonderen Reiz dieser Musik aus. Die ausgefeilte Produktion hüllt die Songs in einen samtig-meditativen Kokon – der gezielte Einsatz von Streichern, Bläsern, Klavier und Mundharmonika trägt einen entscheidenden Teil zu den überaus stimmigen Arrangements bei – und schafft so das ideale musikalische Fundament für eine Kunst der wahren Empfindung. Zum Gelingen dieses atmosphärischen Meisterwerks haben neben dem Produzenten Chris Eckman auch der Tontechniker Phill Brown und Gastmusikerin Terri Moeller beigetragen – die Walkabouts-Schlagzeugerin half an den Drums und mit ihrer Stimme aus.

 

Emotion und Hingabe

Amsterdam Stranded präsentiert die norwegische Band am Zenit ihres künstlerischen Schaffens. Midnight Choir, das waren Sänger Paal Flaata, Bassgitarrist Ron Olsen und der Multiinstrumentalist Atle Bystrom, der sich aufgrund seiner Vorliebe für Alternative Country und Americana als Musiker Al DeLoner nannte. Mit größter Hingabe vermittelte tiefe Emotionen, authentische Gefühle und ein ins Herz der Hörer treffendes Songwriting machen Amsterdam Stranded zu einem treuen und verlässlichen musikalischen Begleiter – in guten, weniger guten, vor allem aber in schlechten Zeiten. Die norwegischen Balladengötter verpacken ihre Gefühle in rätselhaft-schöne und anmutig-dringliche, zwischen Melancholie, Stärke und Zerbrechlichkeit oszillierende Songs – da fallen schon zwei, drei sogenannte „Jahrhundertsongs“ wie Harbor Hope, Mercy Of Maria und Muddy River Of Loneliness ab. Amsterdam Stranded ist ein essenzielles Album für alle, die weder große Gefühle noch unbarmherzige Analysen scheuen, ein Album für Romantiker und Melancholiker, Optimisten und Pessimisten, Frauen und Männer – letztlich für alle, denen zeitlose musikalische Wertarbeit am Herzen liegt.

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