Am Ende war kein Ort
Behutsamer Leerlauf bei 30 Grad im Schatten
Manchmal ist das Verreisen ja eher ein Fortlaufen, eine Bewegung raus aus dem Ungeheuren des Alltags, hinein in das positiv gedachte Ungewisse der Ferne, ist eine Distanzschaffung zwischen dem Hier und dem Mir. Jakob Walter, die Hauptfigur in Bei 30 Grad im Schatten war bereits die Hauptfigur in Lorenz Langeneggers Debüt Hier im Regen. Dort schon wagte er einen Ausbruch aus seinem Leben, nun ja, besser sagte man wohl, er versuchte einen Ausbruch aus seinem Leben, das von so viel Pragmatismus geprägt ist, dass selbst die Heirat mit seiner Frau Edith mehr eine Entscheidung des Kopfes als eine des Herzens war. Weit ist er damals nicht gekommen, von Bern nach Lugano ins Tessin sind es gerade einmal 155 km Luftlinie. Flucht schaut anders aus, möchte man da gerne notieren. Dieses Mal strebt Jakob Walter eine konsequentere Lösung an.
War der Anlass im ersten Buch noch ein fast willkürlich anmutender Ausflug mit eingebildetem Freiheitsstreben, so wird ihm im aktuellen Werk des Schweizer Autors von seiner Frau Edith der Laufpass gegeben. Als Walter endlich realisiert, dass die Trennung nach vielfachen Ankündigungen dieses Mal endgültig ist, nimmt er vorerst einmal Fahrt auf: Der alte Rucksack wird entstaubt, das Notwendigste gepackt und der Schlüssel schlussendlich in den Postkasten geworfen. „Rückkehr prohibited“ sozusagen. Das Abenteuer lockt. Doch es ist ein Desaster mit dieser Hauptfigur. Jakob Walter wäre nicht eine Hauptfigur „bescheidener Façon“, würde das Locken nicht bald schon in ein Zagen übergehen. Was genau suche ich da? Wo ist das Ziel? Und wohin weiter, wenn ich dann mal dort gewesen bin, wohin ich ursprünglich gar nie wollte? Das Ende einer Reise ist nun mal nicht das Ende der Zeit. Doch zuerst muss es erreicht werden, dieses Griechenland, Sehnsuchtsort für Aussteiger, Backpacker und Familien. Dieses Griechenland, die Wiege der Demokratie und das Land der unbegrenzten Steuersünden.
So viele Klischees kann ein Land gar nicht vor sich hertragen, als dass es nicht doch die Abenteuerlust beflügelt. Also macht sich Jakob Walter auf den Weg, sucht die Verlassenheit genauso, wie er für allfällige Tipps aufgeschlossen bleibt. Ein wenig orientierungslos mäandert er durch das Land, versucht nachzuvollziehen, woher der Mythos kommt, und bekommt diesen ebenso wenig zu fassen, wie er sein Leben in den Griff bekommt.
Lorenz Langenegger entfaltet eine Studie über das Zaudern und Zögern, eine Studie über das Wollen, das zu wenig zu sein scheint, verglichen mit dem, was wir wollen sollen. Was ist es wert, mein Leben, wenn die allgemein als bedeutsam titulierten Ziele nicht greifen und schon gar nicht zünden wollen? Wohin mit der eigenen Selbstgenügsamkeit? Am Ende des Buches hofft man als Leser jedenfalls auf eine Wiederbegegnung mit Jakob Walter.