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Heft 28

Erschienen in Heft 28, wie meinen?
Ressort: Rezensionen

Jung Young Moon:
Vaseline Buddha

rezensiert von Werner Schandor

Konzentrierter Affenzirkus

Einblicke in einen arabesken Gedankenstrom

Eines der Ziele der Meditation ist es, den ungezügelten Gedankenstrom in ein ruhiges Gewässer zu überführen. Schön, wenn das gelingt, aber dafür ist jahrelange Übung in der kontemplativen Versenkung notwendig. Ein Bild, das im Zusammenhang mit der Meditation gerne gebraucht wird, ist das der Gedanken als Horde sprunghafter Affen, die sich mal auf diesen, mal auf jenen Ast schwingen und dabei jedem Impuls folgen, der sich ihnen bietet. Der neue Roman des südkoreanischen Psychologen und Schriftstellers Jung Young Moon, Vaseline Buddha, versetzt uns in die Lage, den turnenden Affen des Ich-Erzählers zuzuschauen, einem Alter Ego des Autors, das viele biografische Erfahrungen und Vorlieben mit diesem teilt – darunter seinen starken Bezug zur modernen europäischen Literatur und seine exzessive Beschäftigung mit der philosophischen Problemlage der Wirklichkeitsabbildung durch die Sprache.
Jung lädt uns ein, in seinen Gedankenstrom einzusteigen. Der ist nicht so sprunghaft und profan wie jener der auf ihren Göttergatten Leopold Bloom wartenden Molly, sondern arabesk verästelt und entlang aller gedanklichen Möglichkeitsspintisierereien feinsinnig ausgesponnen. Das Thema ist das Erzählen selbst: das Buch, das man schreiben könnte, wenn man den Gedanken und Erinnerungen an dieses und jenes folgen würde. Und so begleiten wir den Denker beispielsweise in ein französisches Dorf, wo er eine Studienkollegin besuchen wollte, die ihn in ihr Elternhaus eingeladen hatte, aber dann, als er vor ihrer Tür stand, nichts mehr von ihm wissen wollte. Dass aus diesem missglückten Besuchsversuch für den Ich-Erzähler am Ende etwas Beglückendes wurde, weil er so Zeit gewann, durch das Dorf zu flanieren und sich angesichts der Natur über das Glück des Daseins bewusst zu werden – das hat etwas sehr Buddhistisches an sich. Es bezeugt nämlich den Wandel, den laut buddhistischer Lehre durch ihr Werden, Sein und Vergehen nicht nur alle Lebewesen erfahren, sondern der insbesondere auch unseren Gefühlen, Gedanken und Wünschen innewohnt.

Von seiner Sprache her und den sehr langen syntaktischen Ketten, die er beim beispielhaften Vor-Denken ausformuliert, ist Jung Young Moon eher in der europäischen Literatur daheim als im koreanischen Zen. Nicht von ungefähr werden in Vaseline Buddha nebst einigen anderen die Namen von Marcel Proust, Samuel Beckett und Thomas Bernhard erwähnt. Im Zentrum dieser Koordinaten steht konzentriertes Abbilden komplexer Sachverhalte bei absoluter literarischer Vergegenwärtigung des Geschriebenen. Und darin besteht auch die Kunst des Vaseline Buddha: unaufhörlich abzuschweifen und dabei gleichzeitig immer total präsent und konzentriert zu sein.

Allerdings ist es mit den Konzentraten oft so eine Sache: Unverdünnt sind sie nicht genießbar. Und so ist es nicht immer erbaulich, wenn sich lesenderweise der Affenzirkus im eigenen Kopf mit dem literarischen Affenzirkus von Jung Young Moon kreuzt, der von keiner tragenden Geschichte, keiner Handlung im konventionellen Sinn verfälscht wird. Der Buddha hat vor seiner Erleuchtung – der Erkenntnis, wie man das Leid des Daseins überwinden kann – immerhin sechs Jahre der Askese und Meditation gebraucht. Da kann man sich auch mit dem weich konturierten Vaseline Buddha aus koreanischer Produktion gerne ein bisschen Zeit lassen.

Rezensionen

Buch

Werner Fiedler:
Die Apokalypse des frommen Jakob

2024: edition kürbis, S. 243
rezensiert von Hermann Götz

Zeuge gegen Jehova Werner Fiedler wollte ein Drehbuch über seine Kindheit in einer Sekte schreiben. Es ist ein dichtes Buch geworden Jakob wächst mit seiner Mutter Monika auf, die die

Buch

Stefan Schmitzer:
loop garou – invokationen

2024: Ritter, S. 96
rezensiert von Sophie Reyer

Differenzwiederholungen vom Feinsten „loop garou – invokationen“ – diesen Titel trägt Stefan Schmitzers neuer Lyrikband – und jenes besondere Wortspiel zu Beginn, das einerseits auf den französischen Werwolf („loup garou“),

Buch

Priya Guns:
Dein Taxi ist da

2023: Blumenbar, S. 329
rezensiert von Lisa Höllebauer

Rezension: Eine Taxifahrt durch Welten Wie der Titel bereits ankündigt, erwarten Sie hier bestimmt eine klassische Rezension – und ich verspreche, die kommt auch noch – aber einleitend muss ich

Buch

Kulturinitiative Kürbis Wies (Hg.):
Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen

2022: Edition Kürbis, S.
rezensiert von Hermann Götz

Der Geist von Wolfgang Bauer … … zu Gast in der schreibkraft-Redaktion. Mit einem Open Call for Minidramen hat die Edition Kürbis einen Coup gelandet: Über 160 Einreichungen zelebrierten vor

Buch

Günther Kaip:
Rückwärts schweigt die Nacht

2022: Klever, S. 140
rezensiert von Stefan Schmitzer

Vergessen, surreal erinnert Günther Kaip verdichtet Lyrik, Prosa und Zeichnungen zu einem traumhaften Ganzen. „Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit

Buch

Sabine Haupt:
Die Zukunft der Toten

2022: die brotsuppe, S. 216
rezensiert von Hermann Götz

Dreizehn Sabine Haupts Erzählband „Die Zukunft der Toten“ macht Stippvisite auf der dunklen Seite des Mondes. „Jemand musste ihn verraten haben, oder verleumdet, vielleicht auch nur verwechselt.“ Kommt Ihnen bekannt

Buch

Sarah Kuratle:
Greta und Jannis

2021: Otto Müller, S. 232
rezensiert von Hermann Götz

Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

Buch

Markus Köhle:
Zurück in die Herkunft

2021: Sonderzahl, S. 208
rezensiert von Hermann Götz

Best of Poetry Markus Köhle wird in Zurück in die Herkunft zum Plagiatsjäger seiner selbst. Ok, über Slam-Poetry bedarf es hier keiner großen Worte. Dass Poesie als performative Kunst gelebt

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