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Heft 28

Erschienen in Heft 28, wie meinen?
Ressort: Rezensionen

Axel Helbig:
Der eigene Ton. Gespräche mit Dichtern

rezensiert von Helwig Brunner

Die dritte Hälfte der Torte

Wert und Mehrwert in Axel Helbigs Dichtergesprächen

Zur Kultur des Sekundärtextes über neuere deutschsprachige Literatur lassen sich auf ersten Blick zwei kontroversielle Extrempositionen festmachen. Während eine Seite die Analyse des Textes und seiner Entstehungsbedingungen nicht nur als begleitende Aufarbeitung, sondern geradezu als programmatischen Inhalt der Literatur selbst betrachtet, werden auf der anderen Seite, vor allem in Bezug auf Lyrik, immer wieder gewichtige Einwände laut, die zunächst auf eine gänzliche Diskursverweigerung hinauszulaufen scheinen. „Wer über Poesie redet und wer solchen Reden zuhört, ist immer schon auf der Flucht vor ihr“, schreibt Hans Magnus Enzensberger schon 1962, und Claudia Gabler fragt 2010 in der Dresdener Literaturzeitschrift Ostragehege: „Und müsste also doch ein Text über ein Gedicht nicht immer wieder ein Gedicht sein?“

Ohne eine der beiden Positionen ganz zu verwerfen, lässt sich der ergiebigste Weg (der viabelste, um mit Ernst von Glasersfeld zu sprechen) wohl in der Mitte finden: Gerade dort, wo gelegentliche Zweifel an der Legitimität des Sekundärtextes darüber wachen, dass das Sprechen über Literatur seine Zuständigkeitsgrenzen wahrt und seinen Gegenstand nicht zu verdrängen droht, entstehen oft die erhellendsten Ausführungen zur Genese und Bedeutung literarischer Texte. Dies gilt in besonderer Weise für die erwähnte Zeitschrift Ostragehege, die Heft für Heft ausführliche Interviews ihres Herausgebers Axel Helbig mit Schreibenden bringt und darüber hinaus mit der Rubrik Lagebesprechung den poetologischen Dialog durch Dritte fördert. Über die Jahre gesammelt und von Helbig editiert, ergeben diese Materialien bemerkenswerte Bücher.

Der hier vorzustellende Band versammelt (gleich wie die im Jahr 2007 und 2023 erschienene gleichnamige Bände 1 und 3) Gespräche, die Helbig mit so unterschiedlichen Autorinnen und Autoren wie Marcel Beyer, Ulrike Draesner (ihrem Interview ist der Titel dieser Rezension entnommen), Elke Erb, Norbert Gstrein, Wulf Kirsten, Günter Kunert, Christian Lehnert, Brigitte Oleschinski, Ilma Rakusa, Raoul Schrott, Arnold Stadler und Jan Wagner geführt hat. Ergänzt werden sie durch Interviews mit Verlegern und Bildenden Künstlern sowie durch Befragungen des Interviewers selbst, etwa in dem von Eyk Henze gestalteten Gespräch über Gespräche. Insgesamt 35 Interviews sind es, die in profunder Weise – so liest Helbig grundsätzlich alle Bücher seiner Interviewpartnerinnen und -partner vor dem Gespräch noch einmal – die Schreib- und Lebenswelten der Befragten detailliert ausleuchten. Durch kluge, einfühlsame Fragen gelingt es Helbig, Resonanzräume für den „eigenen Ton“ seines Gegenübers zu öffnen, die verzweigten und vernetzten Herschreibungslinien des jeweiligen literarischen Werkes aufzuzeigen und dessen poetischen Kern ein entscheidendes Stück weit freizulegen.

Im Ganzen betrachtet entfalten die vorliegenden Bände einen Mehrwert, der über den Wert der einzelnen Interviews noch hinausgeht. Sie vermitteln – gewissermaßen als dritte Hälfte der Torte neben den Fragen und Antworten – eine reflektierte Grundhaltung respektvoller Zuhörer- und Leserschaft und eine abseits des Wissenschaftlichen seltene Bereitschaft zur punktgenauen Auseinandersetzung mit differenzierten Inhalten. Nicht zuletzt wecken die beiden Bände auch ein grundsätzliches Interesse am Interview als literarischem Genre – einer Textgattung, die hervorragend dazu geeignet ist, als „essayistisches Gespräch“ Literatur in ihren vielschichtigen Zusammenhängen auszuloten und die Lebendigkeit ihrer Entwicklungen wahrzunehmen.

Rezensionen

Buch

Werner Fiedler:
Die Apokalypse des frommen Jakob

2024: edition kürbis, S. 243
rezensiert von Hermann Götz

Zeuge gegen Jehova Werner Fiedler wollte ein Drehbuch über seine Kindheit in einer Sekte schreiben. Es ist ein dichtes Buch geworden Jakob wächst mit seiner Mutter Monika auf, die die

Buch

Stefan Schmitzer:
loop garou – invokationen

2024: Ritter, S. 96
rezensiert von Sophie Reyer

Differenzwiederholungen vom Feinsten „loop garou – invokationen“ – diesen Titel trägt Stefan Schmitzers neuer Lyrikband – und jenes besondere Wortspiel zu Beginn, das einerseits auf den französischen Werwolf („loup garou“),

Buch

Priya Guns:
Dein Taxi ist da

2023: Blumenbar, S. 329
rezensiert von Lisa Höllebauer

Rezension: Eine Taxifahrt durch Welten Wie der Titel bereits ankündigt, erwarten Sie hier bestimmt eine klassische Rezension – und ich verspreche, die kommt auch noch – aber einleitend muss ich

Buch

Kulturinitiative Kürbis Wies (Hg.):
Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen

2022: Edition Kürbis, S.
rezensiert von Hermann Götz

Der Geist von Wolfgang Bauer … … zu Gast in der schreibkraft-Redaktion. Mit einem Open Call for Minidramen hat die Edition Kürbis einen Coup gelandet: Über 160 Einreichungen zelebrierten vor

Buch

Günther Kaip:
Rückwärts schweigt die Nacht

2022: Klever, S. 140
rezensiert von Stefan Schmitzer

Vergessen, surreal erinnert Günther Kaip verdichtet Lyrik, Prosa und Zeichnungen zu einem traumhaften Ganzen. „Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit

Buch

Sabine Haupt:
Die Zukunft der Toten

2022: die brotsuppe, S. 216
rezensiert von Hermann Götz

Dreizehn Sabine Haupts Erzählband „Die Zukunft der Toten“ macht Stippvisite auf der dunklen Seite des Mondes. „Jemand musste ihn verraten haben, oder verleumdet, vielleicht auch nur verwechselt.“ Kommt Ihnen bekannt

Buch

Sarah Kuratle:
Greta und Jannis

2021: Otto Müller, S. 232
rezensiert von Hermann Götz

Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

Buch

Markus Köhle:
Zurück in die Herkunft

2021: Sonderzahl, S. 208
rezensiert von Hermann Götz

Best of Poetry Markus Köhle wird in Zurück in die Herkunft zum Plagiatsjäger seiner selbst. Ok, über Slam-Poetry bedarf es hier keiner großen Worte. Dass Poesie als performative Kunst gelebt

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