Vom Vergeben und Entkommen
In Elke Laznias Prosadebüt tun sich viele dunkle Seiten auf
Elke Laznia hat sich in ihrem beeindruckend-bedrückenden Debüt kindheitswald bekannter und in der österreichischen Literatur sehr beliebter Leitmotive angenommen: der Auseinandersetzung mit Familie, Heimat und Kindheit, ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit und geographischen Verortung. Die unerbittliche Klarheit und verstörende Kompromisslosigkeit, mit der Laznia den dunklen Geheimnissen und bleibenden Verletzungen einer gewalttätigen und beängstigenden Vergangenheit nachspürt, überzeugt mit gelungenen Verknüpfung von inhaltlicher Radikalität und sprachlicher Intensität. Zugänglichkeit kann man dieser Prosa nicht zuschreiben, wie man sie auch nicht dem realistischen Erzählen zurechnen kann.
Das Buchdebüt der 40-jährigen Kärntner Autorin, die in Salzburg lebt und arbeitet, umfasst neun Kapitel; die vom Verlag gewählte Bezeichnung Roman ist wohl in erster Linie der besseren Verkaufbarkeit geschuldet. Beeindruckend und lesenswert ist das Buch trotz der missverständlichen Gattungsbezeichnung allemal, und die mitunter schwierige und mühsame Lektüre der 128 Seiten lohnt sich trotz aller Warnungen der Autorin: „Ihr könnt mich nicht lesen, nicht einteilen, nicht quer lesen, nicht vorhersehen. Auf dass ich nicht beliebig werde.“
Die Ängste und Verletzungen der Kindheit und Vergangenheit werden von Elke Laznia nicht im verständnisvollen Licht der erwachsenen Gegenwart präsentiert, sondern gleichen einer kompromisslosen literarischen Reise zum Herz der Finsternis. stirb doch, das erste Kapitel des Prosabandes, das ein letztes Gespräch zwischen Tochter und Vater – den die Erzählerin nur in der unpersönlichen Form als „der“ zu benennen gewillt ist – in den Mittelpunkt rückt, fesselt den Leser von den ersten Sätzen an. Laznia bedient sich des Kunstgriffs der Verdichtung und Verknappung. Indem sie alles bis auf das Notwendigste sprachlich reduziert, die Tragödie in ein Geflecht aus gedrängt-präzisen Sätzen packt, vermag sie es mit wenigen Sätzen einen literarischen Sog zu erzeugen, dem man sich als Leser nur sehr schwer entziehen kann.
Das letzte Gespräch zwischen Tochter und Vater gleicht in seiner brutalen Direktheit und kompromisslosen Unerbittlichkeit einem menschlichen Endspiel mit letalem Ausgang: „Der stirbt. Hat er mir nicht gesagt, aber ich weiß es.“ Unausgesprochenes schwingt mit, die konsequente Rohheit erstaunt und macht kurzzeitig sprachlos: „Ich habe noch immer das Gesicht von ihm. Stirb mir aus meinem Gesicht.“ Der Abschied von Haus und Hof steht am Beginn einer zunehmenden Vereinsamung, deren ständige Begleiter Angst, Lieblosigkeit und gegenseitige Zurückweisung sind. „Es sind die kleinen Lieblosigkeiten, die mir in der Seelenvene steckenbleiben“, heißt es in einem Kapitel, und im Schlusskapitel was mich noch hält schließt sich der Kreis, und der Blick bleibt unter dem Einfluss von realen Ängsten und gefühlten Bedrohungen verengt und düster: „Such nach meinem Blick. Frag mich nach meiner Angst. Frag nach den Namen meiner Angst. Es sind viele. Dann werde ich zu sprechen beginnen. Und nicht mehr aufhören. Sprechen wir einander von der Angst.“
Elke Laznias kindheitswald gleicht einem literarischen Albtraum ohne sanfte Verklärung und scheint nur für hartgesottene Leser geeignet zu sein – ist das Buch doch mit einem Hang zur Trostlosigkeit durchgehend in Moll-Tönen gehalten. Halt und Hoffnung vermag man als Leser in diesem Buch nicht aufzustöbern, dafür aber eine verbindliche Dringlichkeit und ein schmerzhaftes Welterkennen von der dunklen Seite her.