x
Anfrage senden

Heft 27

Erschienen in Heft 27, zweifelhaft
Ressort: Rezensionen

Gundi Feyrer:
Das Rauschen der Tage. Phantastische Geschichten und anderes Irren

rezensiert von Lisa Spalt

Barbarellas Puppen

Das Schöne allein bringt uns nicht weiter

Gundi Feyrers neues Buch Das Rauschen der Tage umfasst zwei Teile, deren Titel bereits auf ihren Charakter verweisen: Da haben wir einerseits Phantastische Geschichten und andererseits Noch mehr irren. Es geht hier also um Übersteigerungen, um Fehlgänge und Verwunderliches. Dabei sind es Themen wie das Alter, Beziehungen, Nichtbeziehungen etc., die hier verhandelt werden: Eigentlich wird nur Alltägliches beschworen. Doch Feyrer klopft dann die Sprache, mit der sie jenes inszeniert, so furios ab auf ihre doppelten Böden, die Möglichkeiten der Verwechslung, Vertauschung, der anderen, auch oder sogar besser passenden Bezeichnung, dass uns das ganz gewöhnliche Leben mit einem Mal recht unheimlich oder aber auch frisch erscheinen mag. Da gerät der Pferdeschwanz zum Stutenschwanz, und wir müssen uns unweigerlich sagen, dass das doch nur recht und billig ist – wieso sind wir bloß nicht selbst und früher draufgekommen? Oder im Text Man kann ein Buch wie einen Bach in die Hände nehmen werden Bach und Buch so lange enggeführt, bis man sozusagen in beider kühlem Rauschen herumblättert und Seite um Seite genüsslich auszutrinken vermag.

Alles stimmt irgendwie in diesen Kunstwerken, mehr sogar, als es normalerweise stimmt. Das könnte man sagen. Eigentlich ist da alles am Platz. Doch explodieren eben die Sätze doch auch immer – da es immer mehrere dieser Plätze gibt, die alle der einzig richtige sind – in eine spezielle Realität, und das ist dann durchaus nicht unbedingt ein freundlicher Vorgang. Da wird einem plötzlich der Blick von den übelriechenden Augenrädern eines „Vespakakerlaks“ verdreht. Garagenwände werden immer heißer, und am Ende klebt die Nachbarin am Feuerwehrmann, sodass der Nachbarinnengatte – ja, natürlich! So muss er heißen! – folgerichtig explodiert.

„Das Leben ist und bleibt gefährlich, anders kommen wir hier nicht weiter“, heißt es einmal im Text. Das Gefährliche der Sprache, des Lebens, die Beziehung oder Nichtbeziehung zwischen den beiden – da ist dieser doppelte Boden der einer der Mischung und der falschen Identität ist, der aber auch jederzeit bersten, brennen, schmelzen kann: „Das Papier trägt die Gedanken wie das Bett, die Erde, den Bach. Jeder Gedanke besteht aus Buchstaben und ist sie selbst. Kein Gedanke ohne Buchstabe.“

Jederzeit können hier Teilchen sich verbinden, sich trennen, ineinander überblendet werden. Was in der Folge surreal aussieht, entpuppt sich allerdings – Umkehrung der Überraschung – bei näherem Hinsehen oft wieder als vielmehr über-real, zum Beispiel, wenn der Mann, der sich danach sehnt, eine Frau auch privat zu treffen, dies damit begründet, dass er nicht nur ihre schönen, sondern auch ihre hässlichen Gesichter sehen will. Ist es nicht genau das, was Beziehung bedeutet, wenn man sich zum Beispiel an Albert Cohens Belle du Seigneur erinnert? Nur das Schöne leben zu wollen, tötet die Beziehungen. Das Schöne allein, das Streben nach ihm, bringt uns nicht weiter in unserem Bezug zur Welt. Das Schöne ist folgerichtig auch nicht das Movens der Dichtung. Nein, das Drama, der Knoten ist die Ursache für Bewegung. Und so lange es sich bewegt, lebt es auch. Da sieht dann einer hinaus aus dem Fenster, und das bedeutet natürlich gleich, dass er mitten in die Welt hinaussieht. Ja! Dieser Mittelpunkt der Welt bewegt sich aber, je nachdem, wo man da aus dem Fenster sieht, nix ist fix, also müssen wir uns eben auch bewegen, damit wir die Orientierungspunkte irgendwie im Blick behalten. Und so – in diesem Sinn – strotzen diese Texte vor böser Unbändigkeit, zeigen ihre Zähnchen wie die albtraumhaften Puppen aus Barbarella, und wie diese rücken sie uns andauernd auf die Pelle, um am Ende, wenn die Verwicklung gelöst ist, unschuldig dazuliegen und zu behaupten, sie seien ja nur bedrucktes Papier.

Gleichzeitig aber bieten sie uns eben auch an, uns selbst zuzusehen, wie wir Welt konstruieren im Lesen. Die Bewegung, die Bissigkeit, kann sich dabei beruhigen und zu einem meditativen Fließen und Berühren werden. Denn Feyrers Texte sind Texte zum Angreifen, sie reizen das Begreifen, sind Texte einer Autorin, die auch bildende Künstlerin ist, die sehr stark mit den Sinnen zugange ist.

Rezensionen

Buch

Werner Fiedler:
Die Apokalypse des frommen Jakob

2024: edition kürbis, S. 243
rezensiert von Hermann Götz

Zeuge gegen Jehova Werner Fiedler wollte ein Drehbuch über seine Kindheit in einer Sekte schreiben. Es ist ein dichtes Buch geworden Jakob wächst mit seiner Mutter Monika auf, die die

Buch

Stefan Schmitzer:
loop garou – invokationen

2024: Ritter, S. 96
rezensiert von Sophie Reyer

Differenzwiederholungen vom Feinsten „loop garou – invokationen“ – diesen Titel trägt Stefan Schmitzers neuer Lyrikband – und jenes besondere Wortspiel zu Beginn, das einerseits auf den französischen Werwolf („loup garou“),

Buch

Priya Guns:
Dein Taxi ist da

2023: Blumenbar, S. 329
rezensiert von Lisa Höllebauer

Rezension: Eine Taxifahrt durch Welten Wie der Titel bereits ankündigt, erwarten Sie hier bestimmt eine klassische Rezension – und ich verspreche, die kommt auch noch – aber einleitend muss ich

Buch

Kulturinitiative Kürbis Wies (Hg.):
Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen

2022: Edition Kürbis, S.
rezensiert von Hermann Götz

Der Geist von Wolfgang Bauer … … zu Gast in der schreibkraft-Redaktion. Mit einem Open Call for Minidramen hat die Edition Kürbis einen Coup gelandet: Über 160 Einreichungen zelebrierten vor

Buch

Günther Kaip:
Rückwärts schweigt die Nacht

2022: Klever, S. 140
rezensiert von Stefan Schmitzer

Vergessen, surreal erinnert Günther Kaip verdichtet Lyrik, Prosa und Zeichnungen zu einem traumhaften Ganzen. „Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit

Buch

Sabine Haupt:
Die Zukunft der Toten

2022: die brotsuppe, S. 216
rezensiert von Hermann Götz

Dreizehn Sabine Haupts Erzählband „Die Zukunft der Toten“ macht Stippvisite auf der dunklen Seite des Mondes. „Jemand musste ihn verraten haben, oder verleumdet, vielleicht auch nur verwechselt.“ Kommt Ihnen bekannt

Buch

Sarah Kuratle:
Greta und Jannis

2021: Otto Müller, S. 232
rezensiert von Hermann Götz

Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

Buch

Markus Köhle:
Zurück in die Herkunft

2021: Sonderzahl, S. 208
rezensiert von Hermann Götz

Best of Poetry Markus Köhle wird in Zurück in die Herkunft zum Plagiatsjäger seiner selbst. Ok, über Slam-Poetry bedarf es hier keiner großen Worte. Dass Poesie als performative Kunst gelebt

    Anfrage

    Möchten Sie ein Heft bestellen?
    Bitte geben Sie die Heft-Nr. und Ihre Adresse an:

    Ihre Kontaktdaten werden zum Zweck der Kontaktaufnahme im Rahmen dieser Anfrage gespeichert. Mit dem Absenden dieses Formulars stimmen Sie dieser Verwendung zu. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.