x
Anfrage senden

Heft 25

Erschienen in Heft 25, schön blöd
Ressort: Rezensionen

Mike Markart:
Magritte. Erzählungen

rezensiert von Werner Schandor

Der Magritte aus Stainz

Mike Markart schreibt surrealistische Prosa

Der steirische Schriftsteller Mike Markart, Jahrgang 1961, ist das beste Beispiel dafür, dass man in der Literatur Ich-Erzähler und Autoren-Ich niemals verwechseln sollte. Der Autor Mike Markart ist ein umgänglicher Typ: lange Haare, schüttelt Hände nach Art der Hippies, indem er einem mit der Hand den Daumen umfasst, ist stets freundlich und mit so unauffälligen Vorlieben wie Familie, Kochen, Chilizucht, Rotwein, Fußball und Italien gesegnet. Die Erzähler-Ichs und Figuren in Markarts Erzählband Magritte, der über 20 Prosatexte aus zwei Jahrzehnten versammelt, wären dagegen in der realen Welt – gelinde gesagt – allesamt Fälle für die Psychiatrie. In der harmloseren Ausprägung handelt es sich um typisch österreichische Zwangscharaktere: Typen, die aus nichtigen Anlässen Hunderte Seiten lange Beschwerdebriefe an den Bundespräsidenten schreiben, oder solche, die den Untergang des Abendlandes darin sehen, dass Geschäftsbriefe nicht mehr auf der mechanischen Schreibmaschine geschrieben werden, sondern auf der elektrischen – „oder gar auf dem Computer“. In den meisten anderen Fällen/Texten ist die Welt der Figuren Markarts noch viel stärker aus den Fugen geraten. Zum Beispiel beim Filmfreund, von dem immer dann, wenn er ins Kino geht, ein Verwandter stirbt, was allerdings seiner Cinephilie keinen Abbruch tut; oder beim Mordverdächtigen, der den Polizisten beim Verhör erklärt, er sei zum Tatzeitpunkt von einem Ufo entführt geworden, das ihn in eine fremde Galaxie zum Essen gebracht habe – als sei das das Selbstverständlichste auf der Welt.

Unglaubliches wird von Markarts Figuren als selbstverständlich hingenommen; das Vertraute und Gegebene aber verwandelt sich in den Texten nach und nach in Unverständliches. In diesen Welten sind die Gesetze der Natur außer Kraft gesetzt und bedrohen den Menschen: Da rauscht im Titeltext Magritte – nach Motiven des surrealistischen Meisters – der Wind durchs Zimmer und wirbelt alles durcheinander, so dass der Hauptfigur nur noch bleibt, auszuziehen. In einer anderen Geschichte dröhnt aus den Mauern eines Hauses derart gewaltiges Meerestosen, dass die Hauptfigur ein Boot besteigt und ins Innere der Mauern entschwindet. Und in wieder einem anderen Text irritiert ein dichter, bodennaher Nebel, der die Straßen von Rom bedeckt, aber nur für den Erzähler sichtbar zu sein scheint … Wie in den Bildern von Magritte ist es in Markarts Texten meist nur ein Detail, welches das Bild der Wirklichkeit zum Kippen bringt und die Figuren rat- und hilflos zurücklässt.

Und es wird viel gestorben in Markarts Texten – der Tod als Fluchtpunkt ist stets präsent. Wenn auch die Welt in ihre Einzelteile zerbröckelt, bleibt zumindest der Tod als Konstante. Aber nicht einmal auf ihn ist Verlass, wovon die Geschichte Ich bin ein Mahnmal und ein immerwährender Kalender zeugt: Sie handelt von einem todkranken Mann, der nicht und nicht sterben kann. Er versucht, sich mit Tabletten umzubringen, trinkt hochgiftige Chemikalien, schneidet sich die Pulsadern auf, rast mit dem Auto gegen ein Tunnelportal – alles ohne Erfolg.
Markarts Erzählton bleibt dabei unaufgeregt, manchmal mischt sich eine sehr leise Melancholie in die Prosa. In den älteren Texten der Sammlung ist eine gewisse Verehrung für Thomas Bernhard nicht zu leugnen. Die Sprache gestaltet sich dabei als Sermon, der sich an der Unperfektheit der Welt verbeißt. In den jüngeren Texten hat der in Stainz in der Weststeiermark lebende Autor zu seinem eigenen Tonfall gefunden, der sich durch eine ruhige Bewegung auszeichnet. Die Sprache kreist dann nicht mehr insistierend um ein Ding oder einen Vorfall, sondern beschreibt in kleinen Schritten, wie die jeweilige Figur durch eine meist kleine Irritation aus der gewohnten Bahn geworfen wird, und wie sich die Wirklichkeit sukzessive ins Unwirkliche steigert. „[…] die Bewegung selbst ist jedes Mal eine Überraschung“, sagt die Autorin Yoko Tawada in ihrer Laudatio auf Mike Markart, als dieser 2001 den Würth-Literaturpreis für den Text Magritte gewann: „Mir scheint wichtig, dass dieses Wunder allein durch die Sprache des Autors ermöglicht wird.“

Schön, dass Markarts kleinere, verstreute Prosatexte nun in einer sinnvoll zusammengestellten Sammlung vorliegen und zur Entdeckung eines äußerst lesenswerten Autors einladen.

Rezensionen

Buch

Werner Fiedler:
Die Apokalypse des frommen Jakob

2024: edition kürbis, S. 243
rezensiert von Hermann Götz

Zeuge gegen Jehova Werner Fiedler wollte ein Drehbuch über seine Kindheit in einer Sekte schreiben. Es ist ein dichtes Buch geworden Jakob wächst mit seiner Mutter Monika auf, die die

Buch

Stefan Schmitzer:
loop garou – invokationen

2024: Ritter, S. 96
rezensiert von Sophie Reyer

Differenzwiederholungen vom Feinsten „loop garou – invokationen“ – diesen Titel trägt Stefan Schmitzers neuer Lyrikband – und jenes besondere Wortspiel zu Beginn, das einerseits auf den französischen Werwolf („loup garou“),

Buch

Priya Guns:
Dein Taxi ist da

2023: Blumenbar, S. 329
rezensiert von Lisa Höllebauer

Rezension: Eine Taxifahrt durch Welten Wie der Titel bereits ankündigt, erwarten Sie hier bestimmt eine klassische Rezension – und ich verspreche, die kommt auch noch – aber einleitend muss ich

Buch

Kulturinitiative Kürbis Wies (Hg.):
Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen

2022: Edition Kürbis, S.
rezensiert von Hermann Götz

Der Geist von Wolfgang Bauer … … zu Gast in der schreibkraft-Redaktion. Mit einem Open Call for Minidramen hat die Edition Kürbis einen Coup gelandet: Über 160 Einreichungen zelebrierten vor

Buch

Günther Kaip:
Rückwärts schweigt die Nacht

2022: Klever, S. 140
rezensiert von Stefan Schmitzer

Vergessen, surreal erinnert Günther Kaip verdichtet Lyrik, Prosa und Zeichnungen zu einem traumhaften Ganzen. „Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit

Buch

Sabine Haupt:
Die Zukunft der Toten

2022: die brotsuppe, S. 216
rezensiert von Hermann Götz

Dreizehn Sabine Haupts Erzählband „Die Zukunft der Toten“ macht Stippvisite auf der dunklen Seite des Mondes. „Jemand musste ihn verraten haben, oder verleumdet, vielleicht auch nur verwechselt.“ Kommt Ihnen bekannt

Buch

Sarah Kuratle:
Greta und Jannis

2021: Otto Müller, S. 232
rezensiert von Hermann Götz

Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

Buch

Markus Köhle:
Zurück in die Herkunft

2021: Sonderzahl, S. 208
rezensiert von Hermann Götz

Best of Poetry Markus Köhle wird in Zurück in die Herkunft zum Plagiatsjäger seiner selbst. Ok, über Slam-Poetry bedarf es hier keiner großen Worte. Dass Poesie als performative Kunst gelebt

    Anfrage

    Möchten Sie ein Heft bestellen?
    Bitte geben Sie die Heft-Nr. und Ihre Adresse an:

    Ihre Kontaktdaten werden zum Zweck der Kontaktaufnahme im Rahmen dieser Anfrage gespeichert. Mit dem Absenden dieses Formulars stimmen Sie dieser Verwendung zu. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.