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Heft 32

Erschienen in Heft 32, durchlesen
Ressort: Rezensionen

Birgit Schwaner:
Jackls Mondflug. Erzählung.

rezensiert von Lisa Spalt

Lenzpassier und Südwindprofiteur

Die historisch belegte Lebensgeschichte des Salzburger Bettlers Jakob Koller bildet die Folie für Birgit Schwaners Erzählung Jackls Mondflug.

Jakob Koller, der Sohn eines Abdeckers verschwand 1675 nach dem Feuertod seiner als Hexe verurteilten Mutter spurlos. Wenig später machten die ersten Gerüchte die Runde: Die Bettlerkinder, die ihn stets begleitet hätten, wendeten, so hieß es, Schadenszauber gegen Zahlungsunwillige an. Eine Serie von Hexenprozessen gegen vazierende Kinder, die zumeist mit Jakob Koller nichts zu tun hatten, war die Folge.

Im Gegensatz zu vielen dieser Unglücklichen entkam der historische Jackl seinen Häschern. Und ums Entkommen geht es unter anderem auch in Schwaners Buch. Hier bekommt der „Zauberer Jackl“ nämlich eine Zwillingsschwester. Und diese Kreation ist ganz vom Machen der Poesie, dem „Poein“ geprägt, das hier durchaus als die Erzeugung von (geistigen) Transportmaschinen gesehen werden kann. Doch der Reihe nach: Nach einigen Kalamitäten wird die Jakobine genannte Zwillingsschwester des Jackl von einem fahrenden Geschäftsmann aufgenommen und entkommt so vorerst dem Bettlerinnenleben, allerdings nicht der traurigen Umwelt, nicht ihrer Zeit. Daher versucht die poetische Schwester, inzwischen Pyrotechnikerin geworden, am Ende des Textes, sich der elenden Gegenwart ganz einfach durch einen Flug zum Mond zu entziehen. Ein entsprechendes Gerät wird gebaut. Und es kommt, wie es kommen muss: Wie in der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts nimmt die tatsächliche Konfrontation mit dem „echten Mond“, der so lange die Lyrik durchschwebte, dem Objekt der Begierde allen Glamour. Der romantischen Ironie, die den Text durchzieht, steht plötzlich die handfeste Erkenntnis gegenüber, dass Eichendorff, Novalis, Brentano und Co. die Nacht und den Traum wohl als Ausweg beschwören konnten, dass der symbolisch angebetete Mond sich aber eben am Ende doch als ein Trabant der Erde entpuppt, welcher deren Kalamitäten nur spiegelt. Auch hier ist der Mensch des Menschen Wolf, auch auf dem Mond scheint die Sonne nicht für die Armen.

Das Poein muss sich daher auf einen anderen Sehnsuchtsort richten. Wie er aussehen könnte? Hier bricht der Text ab. Der Ort aber existiert, allerdings auf ganz andere Weise, nämlich als eine überaus reiche Sprache, die Schwaner dem Elend der beschriebenen Armut entgegensetzt.

Ein Feuerwerk an rhetorischen Mitteln wird in dem Buch auf die Lesenden losgelassen, die „Notwendigkeit“ klappt um in die „Todwendigkeit“, die „Nabelschnur“ in den „Nebelschlurf“, die Krähe wird neologistisch zum „Lenzpassier“, zum „Südwindprofiteur“, von Geräuschen und Klängen wird nicht nur gesprochen, die Laute werden lautmalerisch implementiert. Ein eigenwilliger Rhythmus durchzieht das Buch. Jeder Blick, der konstruiert wird, wird gleich wieder als Bild weitergesponnen – ja, das Schindergestänge könnte doch auch ein Pferdchen sein, ein stilisierter Mensch, …

Listen und Assoziationsketten werden gesponnen und wieder gelöscht, weil sie aus der Zeit des Jackl in unsere Gegenwart entgleisen. Oder Schwaner beschreibt die Vergangenheit einfach anhand der Aufzählung dessen, was fehlt, und wendet das Manko spielerisch, um ein überbordend besticktes Innenleben des dünnen Mantels zum Vorschein zu bringen. Die bessere Welt erträumen nämlich die, die unter der schlechten leiden. Und so durchziehen Wortkaskaden, Echos den Text, und ganz nebenbei spickt Schwaner ihn noch mit ihrem üppigen kulturhistorischen Wissen. Wir verlassen diesen Raum voller Vexierspiegel daher trotz der nahezu ausweglosen Armut der Protagonisten mit einem Gefühl, in einem Reichtum anderer Art gebadet zu haben.

Rezensionen

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Werner Fiedler:
Die Apokalypse des frommen Jakob

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Zeuge gegen Jehova Werner Fiedler wollte ein Drehbuch über seine Kindheit in einer Sekte schreiben. Es ist ein dichtes Buch geworden Jakob wächst mit seiner Mutter Monika auf, die die

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Differenzwiederholungen vom Feinsten „loop garou – invokationen“ – diesen Titel trägt Stefan Schmitzers neuer Lyrikband – und jenes besondere Wortspiel zu Beginn, das einerseits auf den französischen Werwolf („loup garou“),

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Rezension: Eine Taxifahrt durch Welten Wie der Titel bereits ankündigt, erwarten Sie hier bestimmt eine klassische Rezension – und ich verspreche, die kommt auch noch – aber einleitend muss ich

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Der Geist von Wolfgang Bauer … … zu Gast in der schreibkraft-Redaktion. Mit einem Open Call for Minidramen hat die Edition Kürbis einen Coup gelandet: Über 160 Einreichungen zelebrierten vor

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Günther Kaip:
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Vergessen, surreal erinnert Günther Kaip verdichtet Lyrik, Prosa und Zeichnungen zu einem traumhaften Ganzen. „Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit

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Dreizehn Sabine Haupts Erzählband „Die Zukunft der Toten“ macht Stippvisite auf der dunklen Seite des Mondes. „Jemand musste ihn verraten haben, oder verleumdet, vielleicht auch nur verwechselt.“ Kommt Ihnen bekannt

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Sarah Kuratle:
Greta und Jannis

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Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

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Markus Köhle:
Zurück in die Herkunft

2021: Sonderzahl, S. 208
rezensiert von Hermann Götz

Best of Poetry Markus Köhle wird in Zurück in die Herkunft zum Plagiatsjäger seiner selbst. Ok, über Slam-Poetry bedarf es hier keiner großen Worte. Dass Poesie als performative Kunst gelebt

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