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Heft 30

Erschienen in Heft 30, wälzen
Ressort: Rezensionen

J. J. Voskuil:
Das Büro. Band 1: Direktor Beerta

rezensiert von Stefan Schmitzer

Das Leben unter Anführungszeichen

J. J. Voskuil verhandelt verschiedenste Facetten von Entfremdung

Googelt man die Rezensionen und Veranstaltungshinweise zu J. J. Voskuil, stellt man fest, dass das Interesse für den niederländischen Autor (1926-2008) und für sein wichtigstes Werk, Das Büro, in Deutschland ungleich größer ist als in Österreich. Neben der ausführlichen Behandlung, die Voskuil in Deutschland in den letzten Jahren erfahren hat, nehmen sich die gerade mal zwei österreichischen Rezensionen von 2012, die ich fand, eher mickrig aus. Diese zwei übrigens (ORF.at und Kurier) verdankten sich der damals eben bei C. H. Beck erschienenen deutschen Übersetzung des ersten Bandes von Voskuils Romanzyklus – Das Büro, Band 1: Direktor Beerta.
Soweit es Beck betrifft, blieb es bei diesem ersten Band. Alle weiteren sind in der Zwischenzeit, weiterhin in der Übersetzung von Gerd Busse, sukzessive beim Verbrecherverlag erschienen, mit den beiden letzen – Band 6: Abgang und Band 7: Der Tod des Maarten Koning – aktuell in Vorbereitung. Wenn Verbrecher nun also jenen ersten Band in eigener Auflage neu herausgebracht hat, dann ist das gerade noch früh genug, um die über 800 Seiten des Wälzers zu absorbieren, ehe die letzten Bände der Reihe erscheinen (und für die, denen so etwas wichtig ist, die Gelegenheit, ein einheitliches Erscheinungsbild der ganzen Serie im Regal zu erzielen).
Was ist also Das Büro? – Wenn wir so etwas sagen wie „Die mehrere Tausend Seiten lange Chronik eines gelangweilten Dahinlebens“, werden wir dem Phänomen nicht gerecht. Zwar liegt eine solche Chronik vor, aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist die epische Breite, die Voskuil entfaltet, die Vielzahl seiner Figuren und der Realismus seiner Darstellung – und zwar: alles dies just angesichts eines so unspektakulären Gegenstandes wie des Alltags an dem Volkskundeinstitut, an dem Voskuils Held und Alter Ego Maarten Koning 1957 wenig motiviert zu arbeiten beginnt, im Laufe der Jahrzehnte.
Es geht in der ganzen Buchreihe um Entfremdung, wie sie selbst noch in so scheinbar komfortablen und intellektuell anregenden Arbeitszusammenhängen wie jenen im Uni-Umfeld greift, um die ständige innere Distanz eines permanenten „Lebens unter Anführungszeichen“. Natürlich hat dieses Thema auch eine konkret-politische Seite – das gesellschaftliche Klima, in dem Voskuils Figuren gedeihen, ist geprägt einerseits von Anzeichen sozialdemokratischer Hegemonie, sozialliberaler Alltagskultur in den Institutionen, andererseits aber von dem so völligen Ausbleiben der Ziele der Sozialdemokratie und des sozialliberalen Gestus, sagen wir: das Scheitern aller Hoffnungen auf das „erfüllte Leben“ „ganzer Menschen“, ermöglicht durch Wohlfahrtsstaat, Sicherheit und die (illusionäre) Abwesenheit systemischer Korruption. Zwischen der detaillierten und ungeschönten Schilderung eines partikularen Systems einerseits und andererseits der unverstellten Erkennbarkeit dessen, was an diesem Partikularen typisch oder typologisch sein soll, können wir in Voskuil einen solitären Ausläufer jenes literarischen Realismus erblicken, den wir besser nicht den „sozialistischen“ nennen sollten, wenn wir keine Leser verschrecken wollen …
… und das klingt nun alles viel weniger unterhaltsam, als die Bücher tatsächlich sind. Nicht umsonst haben sie in Voskuils Heimat einen wahren Boom ausgelöst, mit ausverkauften Auflagen, einer schier endlosen Hörspielreihe („Seifenoper für Intellektuelle“, schrieb die Kritik) und z. B. Stadtführungen auf Maartens Spuren. Als Referenzgröße zu diesem Phänomen mag dem gelernten Österreicher Edmund „Mundl“ Sackbauer dienen …
… und als Einstieg in den Kosmos Voskuil (beziehungsweise als Entscheidungshilfe, ob man sich denn weiter drauf einlassen möchte) dieser neu aufgelegte erste Band von Das Büro.

Rezensionen

Buch

Werner Fiedler:
Die Apokalypse des frommen Jakob

2024: edition kürbis, S. 243
rezensiert von Hermann Götz

Zeuge gegen Jehova Werner Fiedler wollte ein Drehbuch über seine Kindheit in einer Sekte schreiben. Es ist ein dichtes Buch geworden Jakob wächst mit seiner Mutter Monika auf, die die

Buch

Stefan Schmitzer:
loop garou – invokationen

2024: Ritter, S. 96
rezensiert von Sophie Reyer

Differenzwiederholungen vom Feinsten „loop garou – invokationen“ – diesen Titel trägt Stefan Schmitzers neuer Lyrikband – und jenes besondere Wortspiel zu Beginn, das einerseits auf den französischen Werwolf („loup garou“),

Buch

Priya Guns:
Dein Taxi ist da

2023: Blumenbar, S. 329
rezensiert von Lisa Höllebauer

Rezension: Eine Taxifahrt durch Welten Wie der Titel bereits ankündigt, erwarten Sie hier bestimmt eine klassische Rezension – und ich verspreche, die kommt auch noch – aber einleitend muss ich

Buch

Kulturinitiative Kürbis Wies (Hg.):
Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen

2022: Edition Kürbis, S.
rezensiert von Hermann Götz

Der Geist von Wolfgang Bauer … … zu Gast in der schreibkraft-Redaktion. Mit einem Open Call for Minidramen hat die Edition Kürbis einen Coup gelandet: Über 160 Einreichungen zelebrierten vor

Buch

Günther Kaip:
Rückwärts schweigt die Nacht

2022: Klever, S. 140
rezensiert von Stefan Schmitzer

Vergessen, surreal erinnert Günther Kaip verdichtet Lyrik, Prosa und Zeichnungen zu einem traumhaften Ganzen. „Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit

Buch

Sabine Haupt:
Die Zukunft der Toten

2022: die brotsuppe, S. 216
rezensiert von Hermann Götz

Dreizehn Sabine Haupts Erzählband „Die Zukunft der Toten“ macht Stippvisite auf der dunklen Seite des Mondes. „Jemand musste ihn verraten haben, oder verleumdet, vielleicht auch nur verwechselt.“ Kommt Ihnen bekannt

Buch

Sarah Kuratle:
Greta und Jannis

2021: Otto Müller, S. 232
rezensiert von Hermann Götz

Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

Buch

Markus Köhle:
Zurück in die Herkunft

2021: Sonderzahl, S. 208
rezensiert von Hermann Götz

Best of Poetry Markus Köhle wird in Zurück in die Herkunft zum Plagiatsjäger seiner selbst. Ok, über Slam-Poetry bedarf es hier keiner großen Worte. Dass Poesie als performative Kunst gelebt

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