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Heft 31

Erschienen in Heft 31, schreibkraft
Ressort: Rezensionen

Selma Mahlknecht:
Luba und andere Kleinigkeiten

rezensiert von Clara Posch

Vom Sein und vom Werden

Selma Mahlknechts Luba und andere Kleinigkeiten.

„Alles am Weibe ist ein Rätsel, und alles am Weibe hat eine Lösung: Sie heißt Schwangerschaft“, ließ Nietzsche einst seinen Zarathustra verkünden. Dem würde Luba – die kontextuell misogyne Komponente dieser Aussage außer Acht lassend – wohl nicht unbedingt zustimmen. Luba: knapp über 30, Lokalreporterin fürs Radio und Lebensgefährtin von Horst, friedfertigem Vogelliebhaber mit Hornbrille und ein paar Kilo zu viel auf den Hüften. Eigentlich entspricht er nicht gerade ihrem Niveau, aber er war theoretisch ja nur als Übergangslösung gedacht, bis Luba den Adonis gefunden hat, den sie verdient. Zumindest diesen Gedanken hat Luba mittlerweile verworfen. Aber die Nachrichten liest sie selbstverständlich nur, bis sie mit ihrer eigenen Sendung ganz groß rauskommt und endlich die Anerkennung erhält, die ihr zusteht. So ein unbedeutendes Leben mit 08/15- Job und Normalo-Mann ist schließlich das Letzte, was Luba will: Sie ist für Größeres bestimmt und dass das bisher noch niemand außer ihr erkannt hat, zeugt einzig und allein von der Begriffsstutzigkeit ihrer Umwelt. Ein ziemlich von sich selbst überzeugtes Exemplar Frau also, dem wir da begegnen, und auf den ersten Blick nicht wahnsinnig sympathisch. Doch je besser wir Luba kennenlernen, mit ihren Ängsten und Sorgen und Zweifeln, mit ihrem schlagfertigen Humor, ihrer riesigen Portion Selbstironie und ihrer so unbeholfenen Art, wenn es um die Liebe geht, desto mehr lernen wir, sie gernzuhaben – und hoffen mit ihr, dass sie es endlich schafft, sich selbst ein bisschen weniger wichtig zu nehmen. Theoretisch stünden die Chancen da ganz gut: Luba ist schwanger! Doch es wäre nicht Luba, wenn das irgendetwas in ihrem Leben einfacher machen würde. Denn so eine Schwangerschaft ist – Tatsache – nun mal nicht die Lösung aller Probleme, die frau so mit sich herumträgt. – Oder am Ende etwa doch?
Mehr als einmal möchte man als Leser ins Buch klettern und der feinen Dame mal so richtig die Meinung geigen. Luba polarisiert; sie macht wütend, traurig, nachdenklich, aber auch so richtig viel Spaß. Herrlich komisch sind die imaginierten Gespräche, die die Ich-Erzählerin führt, wenn sie sich wieder einmal bis zur Skurrilität in gedanklichen Spielereien verliert. Beim Philosophieren über den Sinn der Welt driftet sie allerdings auch allzu gern in Banalitäten ab. Nichtsdestotrotz hat Autorin Selma Mahlknecht mit Luba und andere Kleinigkeiten ein kluges und feinsinniges Porträt einer Frau geschaffen, die ihre Schwangerschaft – die sie fürs Erste für sich behält – auf ihr blankes Selbst zurückwirft und die trotz aller Überheblichkeit liebenswert ist. Denn, Hand aufs Herz: Es findet wohl jedefrau ein Stück von Lubas Charakter in sich selbst wieder. Die Geschichte ist der dritte Roman der Südtirolerin nach Es ist nichts geschehen 2009 und Helena 2010, für den sie den Sir-Walter-Scott-Preis erhielt. Daneben wurden auch diverse Erzählungen veröffentlicht, zuletzt 2013 Auf der Lebkuchenstraße: Heiter bis wolkig durch die Weihnachtszeit. Selma Mahlknecht studierte Drehbuch und Dramaturgie an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, und es erfreut, dass auch die Handlung des Romans in der Gegend angesiedelt ist, hat Luba ihre erste Auswärtsreportage doch sympathischerweise über das niederösterreichische Örtchen Gumpoldskirchen angefertigt und findet im Rauriser Krumltal – das darf man bei dieser Lektüre wohl vorwegnehmen – endlich ihr Happy End. So viel zum Buch, das alles in allem jedenfalls beste Unterhaltung verspricht, nicht nur für Bald- und Schon-Mütter, wenn auch für diese wohl besonders. Und weil’s so schön ist, zum Abschluss noch ein kleiner Einblick in die Gedankenwelt der werdenden Mutter (Luba zu ihrem ungeborenen Kind):
Du bist mein neues Projekt, mein Werk, mein zweiter Versuch mit dem Leben. Ich will nichts dem Zufall überlassen. Ich bin Teil des Systems: Ich bin die Spielverderberin. Die Stimme der Vernunft. Ich bin der Prellbock, der Schlagbaum, das Nein, bis du gelernt hast, selbst Nein zu sagen. Ich bin die, die du nie sein willst und zu der du werden wirst, wenn die Zeit kommt. Die Handlung ist vorgegeben, die Rollen sind verteilt. Jetzt müssen wir spielen.

Rezensionen

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Der Geist von Wolfgang Bauer … … zu Gast in der schreibkraft-Redaktion. Mit einem Open Call for Minidramen hat die Edition Kürbis einen Coup gelandet: Über 160 Einreichungen zelebrierten vor

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Vergessen, surreal erinnert Günther Kaip verdichtet Lyrik, Prosa und Zeichnungen zu einem traumhaften Ganzen. „Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit

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Dreizehn Sabine Haupts Erzählband „Die Zukunft der Toten“ macht Stippvisite auf der dunklen Seite des Mondes. „Jemand musste ihn verraten haben, oder verleumdet, vielleicht auch nur verwechselt.“ Kommt Ihnen bekannt

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Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

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rezensiert von Hermann Götz

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