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Heft 27

Erschienen in Heft 27, zweifelhaft
Ressort: Rezensionen

Daniel Wisser:
Ein weißer Elefant. Roman

rezensiert von Hannes Luxbacher

Im Ausgedinge

Daniel Wisser widmet sich in seinem neuesten Werk ganz besonderen geschützten Arbeitsplätzen

Es scheint, als ob Daniel Wisser an einer Bestandsaufnahme der modernen Arbeitswelt arbeitet. Nach seinem Roman Standby aus dem Jahr 2011, der sich „der Künstlichkeit unseres Alltags, der Alltagsabläufe, der Berufsabläufe, der Abläufe in einem Büro“ (Franz Schuh am Umschlagtext des Buches) annahm und dessen in einem Call Center tätiger Protagonist unter klassischer Entfremdung leidet und dennoch unter Groll und mit ständig wachsendem Vorbehalt immer weiter und immer weiter macht, obschon ein wütender Ausbruch nahe zu liegen scheint. Und der, so legt es der Titel nahe, auch ein sehr passiver, so genannter „Schläfer“ sein könnte – wehe wenn er losgelassen!

In Ein weißer Elefant geht es nun um zwei arbeitslose Arbeitende, die der Musiker (Erstes Wiener Heimorgelorchester), exzellente Textvortragende (unter anderem das Programm Ich zünde nachts Italien an) und Autor Daniel Wisser ins Rampenlicht rückt. Weiße Elefanten werden Menschen genannt, denen ihr Arbeitsfeld entzogen wird, die ausrangiert, aber nicht entlassen oder gekündigt werden. Untätig sitzen sie in ihren Zimmern, bar jeder Aufgabe. Zwei solcher Menschen treffen in Wissers neuem Roman aufeinander. Einer der beiden ist ehemaliger Leiter der IT-Abteilung, hat ein Verhältnis mit drei Frauen, die nichts voneinander wissen, muss für Alimentationszahlungen aufkommen und war in einer maßgeblichen Position in jenem Unternehmen tätig, das ihn nunmehr ins Ausgedinge abgeschoben hat. Hier wird viel vom Bild des weißen, männlichen, karriereorientierten Mannes kapitalistischer Prägung in Szene gesetzt.

Ironischerweise war es gerade dieser Mann, der in seiner ehemaligen Funktion ein Konzept für mehr Effektivität und Effizienz erarbeiten musste, das, wie könnte es anders sein, auch Personalabbau vorgesehen hat. Nun sitzt er in einem kahlen Arbeitsraum vor einem Computer ohne Internetzugang, ohne Aufgabe, aber mit der Verpflichtung, die Arbeitszeiten einzuhalten, ansonsten: Kündigungsgrund. Ein Opfer seines eigenen Maßnahmenplans. In diesem Mikrokosmos spiegelt sich die Absurdität eines auf sich selbst konzentrierten kapitalistischen Systems wider, das keine ethischen Werte mehr kennt. Das Gemeinwohl wurde in den 80ern abgebaut, Personalressourcen sind verschiebbare Massen. Im Duett mit dem zweiten weißen Elefanten, der kryptisch im Hintergrund bleibt und an dessen Existenz man als Leser zwischendurch auch Zweifel hegen möchte, spielen sich sodann in der kleinen Welt des abseits gelegenen Kämmerleins all jene Szenen ab, die auch in der großen Welt des Arbeitsmarktes präsent sind: Forderungen vom (ehemals) hierarchisch höher Stehenden an den (ehemals) niedriger Positionierten, Fragen der Leadership und Dominanz werden aufgeworfen, naiv-karriereorientierte Schritte des ehemaligen Leiters, der sich nicht in die Situation einfügen will, werden angerissen, wohingegen der andere sich zurückzieht und fügt. Für ihn scheint es kein Warum zu geben, kein Weil, es gibt nur das Tun oder Nichtstun um seiner selbst willen. Es ist die Entlarvung der Arbeit als lediglich eine von zahlreichen Möglichkeiten, sein Leben sinnvoll zu gestalten, denn die Arbeit als heilige Kuh, als vermeintlich einzig sinnstiftende Aktivität im Menschenleben läuft hier völlig ins Leere.

Wisser lässt sein Personal monologisieren wie weiland Thomas Bernhard, er lässt sie anprangern und gleichzeitig mitspielen, er lässt sie auflaufen und aufbegehren, dennoch bleiben sie machtlos. Alles, was einem der beiden weißen Elefanten bleibt, ist seine sinnlose Statistik über die Anzahl der Autos, die an der aus dem Fenster zu beobachtenden Kreuzung in alle Himmelsrichtungen abbiegen können. Eine Option, die den weißen Elefanten längst schon genommen wurde. Ein weißer Elefant ist eine bestechende Allegorie auf das moderne Arbeitsleben und noch präziser und schonungsloser formuliert, als es Standby bereits war.

Rezensionen

Buch

Werner Fiedler:
Die Apokalypse des frommen Jakob

2024: edition kürbis, S. 243
rezensiert von Hermann Götz

Zeuge gegen Jehova Werner Fiedler wollte ein Drehbuch über seine Kindheit in einer Sekte schreiben. Es ist ein dichtes Buch geworden Jakob wächst mit seiner Mutter Monika auf, die die

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Stefan Schmitzer:
loop garou – invokationen

2024: Ritter, S. 96
rezensiert von Sophie Reyer

Differenzwiederholungen vom Feinsten „loop garou – invokationen“ – diesen Titel trägt Stefan Schmitzers neuer Lyrikband – und jenes besondere Wortspiel zu Beginn, das einerseits auf den französischen Werwolf („loup garou“),

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Priya Guns:
Dein Taxi ist da

2023: Blumenbar, S. 329
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Rezension: Eine Taxifahrt durch Welten Wie der Titel bereits ankündigt, erwarten Sie hier bestimmt eine klassische Rezension – und ich verspreche, die kommt auch noch – aber einleitend muss ich

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Kulturinitiative Kürbis Wies (Hg.):
Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen

2022: Edition Kürbis, S.
rezensiert von Hermann Götz

Der Geist von Wolfgang Bauer … … zu Gast in der schreibkraft-Redaktion. Mit einem Open Call for Minidramen hat die Edition Kürbis einen Coup gelandet: Über 160 Einreichungen zelebrierten vor

Buch

Günther Kaip:
Rückwärts schweigt die Nacht

2022: Klever, S. 140
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Vergessen, surreal erinnert Günther Kaip verdichtet Lyrik, Prosa und Zeichnungen zu einem traumhaften Ganzen. „Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit

Buch

Sabine Haupt:
Die Zukunft der Toten

2022: die brotsuppe, S. 216
rezensiert von Hermann Götz

Dreizehn Sabine Haupts Erzählband „Die Zukunft der Toten“ macht Stippvisite auf der dunklen Seite des Mondes. „Jemand musste ihn verraten haben, oder verleumdet, vielleicht auch nur verwechselt.“ Kommt Ihnen bekannt

Buch

Sarah Kuratle:
Greta und Jannis

2021: Otto Müller, S. 232
rezensiert von Hermann Götz

Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

Buch

Markus Köhle:
Zurück in die Herkunft

2021: Sonderzahl, S. 208
rezensiert von Hermann Götz

Best of Poetry Markus Köhle wird in Zurück in die Herkunft zum Plagiatsjäger seiner selbst. Ok, über Slam-Poetry bedarf es hier keiner großen Worte. Dass Poesie als performative Kunst gelebt

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