Bravo. Tusch. Applaus.
Daniela Emminger plant die Entnazifizierung der Welt am Mikrokosmos’ Braunau.
Der selbst ernannten Guerilla-Gorilla-Autorin Emminger, die im Fellkostüm gegen den wiedererstarkten Rechtsradikalismus
antritt, ist das im Subtitel bezeichnete „österreichisch-europäische Glamourstück für politisch schwierige Zeiten“ wirklich gelungen. Und zwar aufs Famoseste. Ob es sich bei diesem Buch tatsächlich um einen (nämlich den 6.) Roman der 1975
geborenen Schriftstellerin handelt, ist weniger wichtig. Der Rezensentin spukten Gattungen wie die Posse oder das Besserungsstück durch den Kopf oder es schien ihr die von der Autorin selbst gezimmerte Textgattung Prosatheater aufgrund der Einteilung in Akte, das Vorkommen von Regieanweisungen und Zwischenspielen eine gute Wahl. Die Interaktion mit dem Publikum über musikalische Einschübe („Mein Gorilla hat ne Villa im Zoo“ oder „Die Angst vorm Wolf macht ihn nicht froh und
die vor Nazis ebenso“) tut ein Übriges, um das Theater auf den Plan zu rufen. Nicht umsonst ist Emmingers Buch 2019 als Theaterfassung im Sessler-Verlag erschienen. Es gilt die Daumen zu drücken, dass Zirkus. Braunau seinen Weg auf die Bühne
findet. Und: Wer Jelinek, Bernhard oder Sybille Berg schätzt, wird Emmingers Zirkus-Wurf lieben.
Emminger nimmt Irre-Führer Hitlers Geburtsort Braunau / sein Geburtshaus zum Ausgangspunkt, um die politische Lage Österreichs, Europas, ja der Welt aufzuzeigen. Die Autorin will den Rechtsextremen via Zwangs-Fell-Kostümierung und bananige Zähmung die besten Wesenszüge dieser Spezies infiltrieren:
Das Fehlen jeglicher Verschlagenheit, das Fehlen von Berechnung.
So plant sie die Entnazifizierung der Welt am Mikrokosmos’ Braunau. Das ist ein großer Spaß und ein Gruselstück zugleich. Ihr Plan geht eine Weile auf, es werden reichlich Bananen verteilt, es wird Oxytocin versprüht, es wird freundlich gelaust. Aber die Masse der Rechten wird von der Autorin unterschätzt. In einem Finale (vom Kirchturm in Braunau aus) kontempliert sie über die Blaubraunen und deren Kriegsverwüstung zu ihren Füßen. Ein gutmütiger King Kong ist es schlussendlich, der per Prankenstreich Braunaus Abwege auslöscht und die Autorin zu trösten vermag.
Wenn Wort gegen Wort steht, gewinnt der, der sich lauter, bauernschlauer, bestimmter und mächtiger produziert.
Derjenige, der überzeugender erzählen kann, über mehr Freunde und Bekannte verfügt, die ihm glauben, hat die Wahrheit definiert.“
Es sind zwar keine neuen Erkenntnisse, die die Autorin voranstellt, sie werden aber auf 214 Seiten derart spielerisch-spöttisch verhandelt und textarchitektonisch interessant angeordnet, durch Beispiele, Querverweise, Textlücken auf eigenwillige Art belebt, ja wiederbelebt, dass es ein (ernsthafter) Spaß ist. Nie verwendet Emminger abgedroschene Phrasen oder Begrifflichkeiten, die durch inflationäres Wiederkäuen an Aussagekraft längst verloren haben (danke für das Aussparen hülsenhafter Mode-Vokabeln wie „Spaltung“ o. Ä.). Gnadenlos fordert die Autorin, den Wahn rechtsextremer Alt- und Neuströmungen frontal und rektal anzuschauen. Was dabei zum Lachen reizt, nimmt nur oberflächlich den Stachel, fingerzeigt dann schonungslos auf das Bedrohliche darunter. Emminger ist wunderbar sprachelastisch, besitzt eine stetige Bewusstheit für jedes Wort in seiner Mehrdeutigkeit. Ihre Neologismen sind hinreißend leichtfüßige Partikel in diesem vielschichtigen Sprach- und Gedankenspiel, ihre Exkurse in jüngere Polit- und Gesellschaftsrealitäten Österreichs unbedingt spannend. Mit sprachlos machenden Zitatenreihungen von Jetztzeitpolitikern fasst die Autorin die neuralgische Lage nonchalant zusammen.
Emmingers Text ist intensiv. Manchmal flucht man über ihre vermeintlich allzu entworfene Kombinatorik, bis man (nach einem Kaffee neu belebt) mit genau dem Gewinn weiterliest, den die Autorin nur den Hochaufmerksamen bietet. Abdriften ist nicht! Wir sind hier schließlich nicht in der Belletristik! Emminger hält Scheinwerfer auf ein Gedankengut, „das in genannten Fällen
Gedankenschlecht heißen müsste“. Despoten und Rabulisten, die die Masse neu narren, düpiert sie ihrerseits.
Bei Wikipedia ist in einem Artikel zu „Österreich in der Zeit des Nationalsozialismus“ im letzten Satz zu lesen: „Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Geschichte Österreichs ist bis heute nicht abgeschlossen.“
Abgesehen davon, dass es fraglich ist, ob man den Nationalsozialismus überhaupt abschließend aufarbeiten kann, gibt es jetzt zum Glück „Zirkus. Braunau“. Dieses Buch hat unsere Zeit nötiger denn je. Danke, Frau Emminger,