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Heft 25

Erschienen in Heft 25, schön blöd
Ressort: Rezensionen

Gerald Hartwig:
Chamäleon. Graphic Novel

rezensiert von Werner Schandor

Psychogramm eines Reptils

In Los Angeles lässt es sich ausgiebig scheitern

Der unbestrittene Großmeister autobiografischen Erzählens heißt aktuell Joachim Meyerhoff: Der Schauspieler und Autor baut seine Texte anekdotisch auf und ordnet die Geschehnisse mit Andeutungen, Vorgriffen und Rückblenden rund um Themenkreise an, die in detailreich geschilderten Szenen durchscheinen. Es geht in seinem aktuellen Bestseller Wann wird es so, wie es nie war unter anderem um das Erzählen an sich, um das Scheitern, um uneingestandene Trauer und viele andere Dinge, die ein Leben ausmachen. Das Resultat ist vielschichtig, facettenreich und verdammt gut zu lesen.

Von der Dichte und Tiefe der Erlebnisse her hätte auch Gerald Hartwigs Graphic Novel Chamäleon das Zeug zu einer berührenden Erzählung. In seiner autobiografischen Geschichte blickt der aus Graz stammende, in Berlin lebende Künstler und Grafiker Hartwig auf seine wilden Jahre in Los Angeles zurück. Mit 19 fliegt er nach Kalifornien, um beim Film unterzukommen. Ein Brief an Landsmann Schwarzenegger bleibt unbeantwortet, stattdessen erscheinen windige Gestalten auf der Bildfläche, denen zu ihrem bombensicheren Filmprojekt nur die Kleinigkeit von 15 Millionen Dollar fehlt. Das soll ihnen ein Unterweltboss zur Verfügung stellen, dem sie im Gegenzug mit einer juristischen Finte aus dem Gefängnis helfen wollen. Der Kontaktmann: Jerry, wie sich Gerald in den USA nennt. Er verliert jedoch bei der Begegnung mit dem Häfenbruder literweise Schweiß, und man ahnt es schon: Das Ganze entwickelt sich zur Pleite. Auf diese Pleite folgen weitere: Ob es um eigene Filmprojekte geht, um die Selbstverwirklichung als bildender Künstler oder um Jerrys Beziehung zu einer Nymphomanin – nie schickt sich die Wirklichkeit an, Jerrys hochtrabende Pläne und schillernde Ideen realiter Gestalt annehmen zu lassen. Auch Psychotherapie, Drogen und forcierter amerikanischer Optimismus bringen nicht den ersehnten Erfolg. Die Hauptfigur mutiert stattdessen zum Chamäleon, das sich nach außen hin an die Umgebung anpasst, aber in seiner Reptilienhaftigkeit immer ein Fremdkörper inmitten von Warmblütlern bleibt. Das Tier erscheint in den dunklen Stunden des Protagonisten.

Gerald Hartwig zeichnet ein Psychogramm der Generation Erbe: Ohne die Finanzzuschüsse seiner Eltern hätte Jerry niemals zehn Jahre lang in Los Angeles an seinen Träumen scheitern können. Zugleich – und das unterscheidet Hartwig vom eingangs erwähnten Joachim Meyerhoff – hat man nicht den Eindruck, der Protagonist würde verstehen, was um ihn herum und mit ihm eigentlich passiert. Vielmehr wirkt die, abgesehen von der Rahmenhandlung, strikt chronologisch aufgebaute und linear erzählte Graphic Novel wie eine Bestandsaufnahme mit dem Ziel, zumindest retrospektiv Boden unter den Füßen zu gewinnen, aber mit dem Ergebnis, dass man unter einem Berg von Ereignissen vergraben wird.

In früheren künstlerischen Arbeiten hat Hartwig oft auf das Storybord-Format zurückgegriffen. Und man merkt auch den Zeichnungen von Chamäleon an, dass sie zwar eigenwillig, aber grafisch ausgereift sind. Woran es beim Buch hapert, ist die Dramaturgie der Geschichte, die viele starke Themen und Motive hat, aber in der vorliegenden Form eher in die Breite als in die Tiefe geht. Das Chamäleon verschwindet so sang- und klanglos, wie es gekommen ist.

Rezensionen

Buch

Werner Fiedler:
Die Apokalypse des frommen Jakob

2024: edition kürbis, S. 243
rezensiert von Hermann Götz

Zeuge gegen Jehova Werner Fiedler wollte ein Drehbuch über seine Kindheit in einer Sekte schreiben. Es ist ein dichtes Buch geworden Jakob wächst mit seiner Mutter Monika auf, die die

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Stefan Schmitzer:
loop garou – invokationen

2024: Ritter, S. 96
rezensiert von Sophie Reyer

Differenzwiederholungen vom Feinsten „loop garou – invokationen“ – diesen Titel trägt Stefan Schmitzers neuer Lyrikband – und jenes besondere Wortspiel zu Beginn, das einerseits auf den französischen Werwolf („loup garou“),

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Priya Guns:
Dein Taxi ist da

2023: Blumenbar, S. 329
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Rezension: Eine Taxifahrt durch Welten Wie der Titel bereits ankündigt, erwarten Sie hier bestimmt eine klassische Rezension – und ich verspreche, die kommt auch noch – aber einleitend muss ich

Buch

Kulturinitiative Kürbis Wies (Hg.):
Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen

2022: Edition Kürbis, S.
rezensiert von Hermann Götz

Der Geist von Wolfgang Bauer … … zu Gast in der schreibkraft-Redaktion. Mit einem Open Call for Minidramen hat die Edition Kürbis einen Coup gelandet: Über 160 Einreichungen zelebrierten vor

Buch

Günther Kaip:
Rückwärts schweigt die Nacht

2022: Klever, S. 140
rezensiert von Stefan Schmitzer

Vergessen, surreal erinnert Günther Kaip verdichtet Lyrik, Prosa und Zeichnungen zu einem traumhaften Ganzen. „Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit

Buch

Sabine Haupt:
Die Zukunft der Toten

2022: die brotsuppe, S. 216
rezensiert von Hermann Götz

Dreizehn Sabine Haupts Erzählband „Die Zukunft der Toten“ macht Stippvisite auf der dunklen Seite des Mondes. „Jemand musste ihn verraten haben, oder verleumdet, vielleicht auch nur verwechselt.“ Kommt Ihnen bekannt

Buch

Sarah Kuratle:
Greta und Jannis

2021: Otto Müller, S. 232
rezensiert von Hermann Götz

Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

Buch

Markus Köhle:
Zurück in die Herkunft

2021: Sonderzahl, S. 208
rezensiert von Hermann Götz

Best of Poetry Markus Köhle wird in Zurück in die Herkunft zum Plagiatsjäger seiner selbst. Ok, über Slam-Poetry bedarf es hier keiner großen Worte. Dass Poesie als performative Kunst gelebt

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