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Harald Darers famoser zweiter Roman widmet sich den zeitgemäßen Themen Gewalt und Langeweile
Small town boredom kann eine vehemente Belastung für Jugendliche und junge Erwachsene sein. Die medial in heavy rotation vermittelten Möglichkeiten, was Leben angeblich alles bedeuten kann – Stichwort „Next irgendwas“ –, sind außer Griffweite, der soziale Druck und der wirtschaftliche Überlebenskampf greifen vermehrt um sich, file under steigende Jugendarbeitslosigkeit. „Here we are now, entertain us“, proklamierten Nirvana Anfang der 1990er stellvertretend für eine potenziell enttäuschte Jugend noch recht passiv. Man möchte meinen, dass es mit der permanenten und allgegenwärtigen Verfügbarkeit von Freizeitgestaltungsmöglichkeiten jedweder Façon leichter geworden sei, sich die Zeit zu vertreiben, aber denkste! Denn man muss sich schon gewahr sein, dass Zeitvertreib nicht automatisch auch Sinnstiftung bedeutet. Konzentrieren wir uns, da es in Harald Darers zweitem Roman Herzkörper um männliche Jugendliche geht, auf eben diese. Unter dem Einfluss von Sendungen wie Jackass, in denen sich dauerpubertierende Männer mutwillig selbst Schmerzen, wenn nicht gar Schaden zufügen und das Zurschaustellen von bereitwillig erlittenem Leiden Bonuspunkte in diversen sozialen Verbänden garantiert, wurden über die letzten Jahre hinweg diverse Grenzüberschreitungen salonfähig gemacht.
Es sind einfach komplizierte Lebensverhältnisse, in denen sich die drei Jungerwachsenen Andi, Chris und Boro befinden. Desorientiert einerseits, desillusioniert andererseits, zelebrieren sie untereinander sadistische Spiele, in denen das masochistische Element kalkulierterweise in Kauf genommen wird. Denn: Ohne die Bereitschaft, selbst zu leiden, kann schließlich den anderen kein Schmerz zugefügt werden. Und der Schmerz muss sein, anderenfalls spürt man sich ja gar nicht mehr. Neben dem Schmerz, den sich das Trio in selbst entworfenen Mutspielen selbst zufügt, blitzen aber immer wieder auch systemverweigernde Positionen durch, denn wenn sich Desorientierung und Langeweile verbinden, kommt gerade bei (spät)pubertären männlichen Jugendlichen so etwas wie pseudo-anarchisches Gehabe heraus. Darers Hauptfiguren nehmen den kleinstädtischen Mief ins Visier und desavouieren ihn ohne Rücksicht auf die Konsequenz für den eigenen Körper. Selbst der eigene Vater wird nicht geschont und in aller Öffentlichkeit dessen bezichtigt, was im Normalfall unter Verschwiegenheit fällt: Fremdgehen. Der Preis dafür ist schwere körperliche Misshandlung des Sohnes, literweise Blutverlust inklusive.
Und wo der eigene Körper endet, beginnt der Übergriff. Als zusätzliche Zielscheibe muss der Obdachlose Rocko herhalten, der sich selbst zum Großmeister des Schulterausrenkens ausgebildet hat, um so die ihm vom Arbeitsamt vermittelten Stellen schnellstmöglich wieder los zu werden. Aber Rocko ist nicht einfach nur ein Arbeitsunwilliger, er ist auch der gescheiterte Familienvater, ausgestattet mit einer großen Sehnsucht nach seiner Tochter, die ihm immer wieder über den Weg läuft, ihn aber verleugnend ignoriert.
Auf einer zweiten Ebene des Romans treffen einander die beiden Frauen Maria Satori, neue Rektorin an der FH für Sozialberufe, und die Journalistin Simone Remschnik für ein Interview. Was als Porträt beginnt, geht bald in die Beschreibung der Arbeitsweise Satoris über und führt analytische Komponenten ein, die auf das Handeln der männlichen Akteure angewandt werden können. Die beiden Romanebenen umfassen Handlung und Analyse, sie treffen sich im Buch selbst nie, es bleibt den Lesenden überlassen, wie sie die beiden Ebenen aufeinander beziehen. Ist die Handlungsebene bloß das von Satori genannte
Beispiel, das sie ihre Studierenden analysierend durchspielen lässt? Oder ist die Handlungsebene das, was wir mittlerweile täglich bis hin zur professionalisierten Gewalt samt Hooligan-Tourismus erleben müssen, und der theoretisch-analytische Blick der Wissenschafterin bloß noch erklärendes Beiwerk, entkoppelt von dem, was tatsächlich passiert, und nur noch eine Funktion erfüllend wie z. B.Fernsehen, das eine der Personen so beschreibt: „Das Fernsehen ist für den Menschen aufbereitete Wirklichkeit.“ Und nur so sei sie ertragbar.