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Heft 30

Erschienen in Heft 30, wälzen
Ressort: Rezensionen

Iris Wolff:
Leuchtende Schatten

rezensiert von Heimo Mürzl

Ode an die Freundschaft

Das Ende einer Kindheit, auf die die Vergangenheit Rumäniens ihr Licht und ihren Schatten wirft

Leuchtende Schatten heißt der zweite Roman der in Hermannstadt/Siebenbürgen geborenen und in Freiburg lebenden Iris Wolff. Wer sich einen genreüblichen Abgesang auf das Ende der Siebenbürger Sachsen in Rumänien erwartet, sollte das Buch rasch wieder zur Seite legen. Wolff schafft es nämlich, dem Leser das siebenbürgische Hermannstadt und ein Dutzend seiner Bewohner derart einfühlsam und eindringlich vorzustellen, dass man, wenn man sich auf die Geschichten dieser Menschen erst einmal eingelassen hat, nicht mehr davon lassen will. Iris Wolff gelingt mit diesem Roman eine anmutig-poetische Ode an und ein leidenschaftliches Plädoyer für die Freundschaft. Wie bereits in ihrem ersten Roman Halber Stein beeindruckt Wolff auch in Leuchtende Schatten mit einem bescheiden-klugen Blick auf die Geschichte der sogenannten Rumäniendeutschen und der Kunst, genaue Beobachtung in subtil gezeichnete Schilderung umzusetzen. Ganz behutsam dreht Iris Wolff ihr in einer klaren und einfachen Sprache vermitteltes Familienkaleidoskop und ihr gelingt auf diese Weise ein stilles, unspektakuläres, aber umso länger nachwirkendes Buch über die Einsamkeit der Menschen in der Gemeinschaft, aber auch über die Unantastbarkeit des Freiheitswillens und den Wert von Freundschaft und Liebe.

Trauer und Euphorie

Wolffs Roman erzählt von den Veränderungen und Herausforderungen, die die Bewohner im siebenbürgischen Hermannstadt in den 40er-Jahren umtreiben, besser gesagt, fällt diese Aufgabe dem Mädchen Ella zu, das als auf das Geschehen zurückblickende Ich-Erzählerin vom Hereinwirken der weltpolitischen Ereignisse auf die vermeintliche Siebenbürger Idylle berichtet. Das ideologische Gift des Nationalsozialismus beginnt in die Großfamilien einzusickern, zwischen den ethnischen Gruppierungen entsteht mehr und mehr Misstrauen und eine diffuse Angst hält Einzug in den einst beschaulichen Alltag. Für Ella sind es neben den vertrauten Orten vor allem ihr nahestehende Personen – ihre Eltern, ihre Cousine und ihre Großmutter –, die ihr Orientierung und Rückhalt bieten. Mit ihrem Vater verbindet sie die Liebe zur Sprache und zur Literatur und ihre ebenso liebenswerte wie resolute „Ursula-Oma“ bewahrt auch in den Umbruchszeiten Haltung und bezieht Stellung, wenn nicht wenige der deutschen Volksgruppe auf einmal das Gefühl haben, „Teil eines großen, ruhmreichen Ganzen zu sein“. Im Zentrum des Romans steht aber die tiefe, in ihrer Intensität für den Leser fast spürbare Freundschaft zweier Mädchen. Mit einem Unfall am See beginnt die Freundschaft zwischen Ella und Harriet, die sich trotz ganz unterschiedlicher Vorgeschichte und Elternhäuser sofort auf fast sinnliche Weise vertraut sind und sich vom ersten Augenblick an verbunden fühlen. „Ich liebte Harriet vom ersten Augenblick an“, lautet der erste Satz des Romans. Die politischen Ereignisse in den Jahren 1943 und 1944, aber auch private Weichenstellungen, zwingen die Mädchen aber sehr rasch und unsanft von ihrer Kindheit Abschied zu nehmen. Harriet wird von einer Mitschülerin mit den Worten „Weißt du, was wir hier gar nicht mögen? – Streunende Hunde, Zigeuner und Juden“ angegriffen und der Druck auf Ellas Vater „ins Feld zu ziehen“ wird von Tag zu Tag stärker – als er sich schließlich für den Einsatz entscheidet, heißt das auch, dass er nicht mehr nach Hause kommen wird. Auch Leo, Ellas erste große Liebe, stellt die intensive Freundschaft der Mädchen auf eine große Probe, aber nie in Frage. Der von Iris Wolff sehr eindringlich geschilderten Spannung zwischen Trauer und Euphorie, zwischen der ersten Verliebtheit und dem Tod des geliebten Vaters, den vertrauten Zufluchtsorten und den sich ändernden Rahmenbedingungen (die Kluft zwischen völkischen Sachsen und kommunistisch-nationalistischen Rumänen wird immer größer) steht der Freiheitswille und die tiefe Freundschaft zwischen den Mädchen gegenüber. „Glück wird durch Leid nicht aufgehoben“ und „Man kann sich immer entscheiden, welche Geschichte man erzählen will“, lässt Iris Wolff den Leser durch die Ich-Erzählerin Ella wissen. Die Wege von Ella und Harriet trennen sich schließlich wieder – viele Jahre später erhält Ella einen wortlosen Gruß aus New York, eine Halskette mit einem Anhänger, der die Initialen von Harriet eingraviert hat. Mag sein, dass das Resümee des Buches ein wenig traurig lautet: Jeder lebt letztlich für sich alleine. Die Kunst von Iris Wolff, ihren Personen mit Liebe und Respekt zu begegnen, sich in sie hineinversetzen zu können und sie und ihr Handeln dem Leser nachvollziehbar und verständlich gemacht zu haben, ist dann doch ein ebenso wichtiges wie tröstendes Gegenargument.

Rezensionen

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Werner Fiedler:
Die Apokalypse des frommen Jakob

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Zeuge gegen Jehova Werner Fiedler wollte ein Drehbuch über seine Kindheit in einer Sekte schreiben. Es ist ein dichtes Buch geworden Jakob wächst mit seiner Mutter Monika auf, die die

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Differenzwiederholungen vom Feinsten „loop garou – invokationen“ – diesen Titel trägt Stefan Schmitzers neuer Lyrikband – und jenes besondere Wortspiel zu Beginn, das einerseits auf den französischen Werwolf („loup garou“),

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Der Geist von Wolfgang Bauer … … zu Gast in der schreibkraft-Redaktion. Mit einem Open Call for Minidramen hat die Edition Kürbis einen Coup gelandet: Über 160 Einreichungen zelebrierten vor

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Günther Kaip:
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Vergessen, surreal erinnert Günther Kaip verdichtet Lyrik, Prosa und Zeichnungen zu einem traumhaften Ganzen. „Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit

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Sabine Haupt:
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Dreizehn Sabine Haupts Erzählband „Die Zukunft der Toten“ macht Stippvisite auf der dunklen Seite des Mondes. „Jemand musste ihn verraten haben, oder verleumdet, vielleicht auch nur verwechselt.“ Kommt Ihnen bekannt

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Sarah Kuratle:
Greta und Jannis

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Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

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Markus Köhle:
Zurück in die Herkunft

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rezensiert von Hermann Götz

Best of Poetry Markus Köhle wird in Zurück in die Herkunft zum Plagiatsjäger seiner selbst. Ok, über Slam-Poetry bedarf es hier keiner großen Worte. Dass Poesie als performative Kunst gelebt

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