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Heft 45

Erschienen in Heft 45, kinderleicht
Ressort: Rezensionen

Karl May:
Gesammelte Werke, Band 1 – 96

rezensiert von Tanja Paar

Dorthin, wo es weh tut

Sie waren purer Zauber, die grünen Bände mit der Goldprägung. Erst vorgelesen, bald selber ausbuchstabiert. Jeden Abend las der Großvater dem Kind eine halbe Stunde vor. Jeden Abend wurde so das Zu-Bett-gehen-Müssen ein Vergnügen.

Sie waren sicherlich nicht kindgerecht, diese Abenteuergeschichten, aber der Großvater kannte dieses Wort nicht und das Kind auch nicht. Also stand der Aufhebung von Zeit und Raum nichts im Wege: Viele der Helden kamen zu Tode, nur um Woche später wiederaufzuerstehen, sich den Fesseln am Marterpfahl zu entwinden, den reißenden Flüssen entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch zu entsteigen. Heldinnen gab es in diesen Geschichten keine, aber das störte das Kind nicht, war es selbst ein Held völlig unabhängig von seinem biologischen Geschlecht. Es war Winnetou und es war Old Shatterhand, es war Nscho-Tschi ebenso wie Kara Ben Nemsi.

Der Großvater kümmerte sich nicht um Chronologien, ließ aus, was ihm zu brutal erschien, um sich Tage später anders zu entscheiden, sprang vor und zurück. Er lehrte das Kind: Geschichten, das sind die Herrinnen über Leben und Tod. Deswegen vielleicht der Wunsch, es ihnen gleichzutun, Raum und Zeit zu formen, Tote lebendig, Kranke gesund zu machen. Die heilende Kraft der Erzählung zu beschwören, den Trost, der in ihr liegt. Aber nicht schönreden, auch dorthin erzählen, wo es weh tut. Das wollte sie.
Die Entdeckung dieser Kraft der Erzählung an einem Wandertag, als die Forststraße endlos war und der Wind kalt. Und sie die anderen weitergehen machen konnte mit einer imaginierten Geschichte, mit Worten, die an einem losen Band aneinandergeknüpft im Gehen auch die anderen Kinder ausschreiten ließen. Gehen und Schreiben haben für sie bis heute eine enge Verbindung, sind beide stets mit einer Entscheidung verbunden. Wohin sich wenden? Was weglassen, was für wichtig erachten?

Ohne das vorbildliche Schlitzohr hätte sie es als Schriftstellerin nicht gewagt, sich bis in die Weiten Anatoliens und darüber hinaus bis ins wilde Kurdistan zu imaginieren. Eine Zitternde Welt zu erschaffen, die auch auf Recherche zur Bagdadbahn beruht, nicht aber auf persönlicher Anschauung. Wie sollte eine auch ins 19. Jahrhundert reisen? Sie nennt das für sich ihre „Karl May-Methode“. Ihr Großvater hätte es geliebt.

Rezensionen

Buch

Werner Fiedler:
Die Apokalypse des frommen Jakob

2024: edition kürbis, S. 243
rezensiert von Hermann Götz

Zeuge gegen Jehova Werner Fiedler wollte ein Drehbuch über seine Kindheit in einer Sekte schreiben. Es ist ein dichtes Buch geworden Jakob wächst mit seiner Mutter Monika auf, die die

Buch

Stefan Schmitzer:
loop garou – invokationen

2024: Ritter, S. 96
rezensiert von Sophie Reyer

Differenzwiederholungen vom Feinsten „loop garou – invokationen“ – diesen Titel trägt Stefan Schmitzers neuer Lyrikband – und jenes besondere Wortspiel zu Beginn, das einerseits auf den französischen Werwolf („loup garou“),

Buch

Priya Guns:
Dein Taxi ist da

2023: Blumenbar, S. 329
rezensiert von Lisa Höllebauer

Rezension: Eine Taxifahrt durch Welten Wie der Titel bereits ankündigt, erwarten Sie hier bestimmt eine klassische Rezension – und ich verspreche, die kommt auch noch – aber einleitend muss ich

Buch

Kulturinitiative Kürbis Wies (Hg.):
Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen

2022: Edition Kürbis, S.
rezensiert von Hermann Götz

Der Geist von Wolfgang Bauer … … zu Gast in der schreibkraft-Redaktion. Mit einem Open Call for Minidramen hat die Edition Kürbis einen Coup gelandet: Über 160 Einreichungen zelebrierten vor

Buch

Günther Kaip:
Rückwärts schweigt die Nacht

2022: Klever, S. 140
rezensiert von Stefan Schmitzer

Vergessen, surreal erinnert Günther Kaip verdichtet Lyrik, Prosa und Zeichnungen zu einem traumhaften Ganzen. „Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit

Buch

Sabine Haupt:
Die Zukunft der Toten

2022: die brotsuppe, S. 216
rezensiert von Hermann Götz

Dreizehn Sabine Haupts Erzählband „Die Zukunft der Toten“ macht Stippvisite auf der dunklen Seite des Mondes. „Jemand musste ihn verraten haben, oder verleumdet, vielleicht auch nur verwechselt.“ Kommt Ihnen bekannt

Buch

Sarah Kuratle:
Greta und Jannis

2021: Otto Müller, S. 232
rezensiert von Hermann Götz

Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

Buch

Markus Köhle:
Zurück in die Herkunft

2021: Sonderzahl, S. 208
rezensiert von Hermann Götz

Best of Poetry Markus Köhle wird in Zurück in die Herkunft zum Plagiatsjäger seiner selbst. Ok, über Slam-Poetry bedarf es hier keiner großen Worte. Dass Poesie als performative Kunst gelebt

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