Krimi mit Elektrofahrrad
Lorenz Langeneggers „Dorffrieden“ ist große Krimikleinkunst.
Längst ist der Landpolizist im Krimi-Genre angekommen, eine zärtlich gezeichnete Provinzgestalt zumeist, die neue Welten von Ermittlerschrullen öffnet – und natürlich das sprichwörtliche weite Feld des Lokalkolorits. Wird heute irgendwo jemand vom Kirchturm gestoßen oder in der Jauchengrube versenkt, muss längst schon kein kriminologisch versierter Kurgast mehr vor Ort sein, um dort auf der Suche nach seiner Jugendliebe über Leichenteile zu stolpern: Selbst ist der Dorfgendarm.
Dass Lorenz Langenegger sich mit seinem neuen Roman „Dorffrieden“ dem Krimi-Genre zuwendet, lässt auf den ersten Blick vermuten, er habe sich auch gleich durch diesen, nun ja, Trend beeindrucken lassen. Doch das scheint nur so. Wachtmeister Wattenhofer, der grundsolide Held des Buches, ist ein bescheidener Mensch, der sein geliebtes Provinznest viel zu sehr mag, um es richtig aufzumischen. Ermittler fahren seltsame alte Autos, das ist ein Gesetz, an das sich der Mentalist genauso zu halten hat, wie die Bibi aus dem Wien-„Tatort“. Wattenhofer fährt Elektrofahrrad. Er trainiert den örtlichen Fußballnachwuchs und trinkt Whisky als Erinnerung an einen gelungenen Schottlandurlaub.
Gut, auch ihm bleibt Ungemach größeren Ausmaßes nicht erspart: Es fließen Blut und Gin-Tonic, Küchenmesser werden gezogen und auch einen Undercover-Einsatz im Puff gilt es zu überstehen. Wattenhofer und seine Welt reiben sich an der Rolle des Ermittlers, doch zwischen Ehezwist und Sorgen um den kiffenden Sohn, der sich als Hausbesetzer auf die mindestens halbschiefe Bahn begibt (sich dabei aber viel zu gut mit seiner Mutter versteht), hat unser Held vor allem eines zu bezwingen: die eigenen Skrupel, bei seinem Ausflug ins Kriminologische aus dem gemütlichen Rahmen der Unauffälligkeit zu fallen.
Ungeschickt schummelt sich Wachtmeister Wattendorfer durch die Handlung bis zum finalen Nachteinsatz, ohne dass der Plot je Gefahr läuft, auf seine vorsätzliche Bodenhaftung zu verzichten. Zuweilen ist Wattendorfer seinem Erfinder ob dieser zwanghaften Nähe zur ruralen Realität gram und wünscht sich einen Autor mit mehr Sinn für altgediente Krimi-Klischees. Diese Ausflüge in den auktorialen Austausch mit dem Protagonisten hätte es aber gar nicht bedurft, viel stärker ist Langeneggers Text, wo er ganz nah bei seinem Antihelden bleibt, schildert, wie unangenehm ihm große wie kleine Missgeschicke sind – vom Regen, der ihn am Elektrofahrrad erwischt, bis zum Schulfreund, dem er im Puff über den Weg läuft. Dann sitzt jeder Satz, jede noch so bescheidene Reflexion des Ermittlers. Wir sehen mit seinen Augen und wissen: Wir hätten an seiner statt genauso empfunden, in seinem Kopf genauso gedacht.
Letztlich legt Langenegger keinen Kriminalroman vor, sondern viel mehr eine Landkomödie, die sich allerdings so eng an ihren unbeholfenen Helden schmiegt, dass dem Leser kein guter Platz zum Lachen bleibt: ein Welttheater der Beschaulichkeit, einen Westentaschen-Thriller, der sich kunstvoll im Stofftaschentuch verheddert – oder einfach große Krimikleinkunst.