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Heft 38

Erschienen in Heft 38/39, aus der welt (Doppelnummer 38/39)
Ressort: Rezensionen

Mercedes Spannagel:
Das Palais muss brennen

rezensiert von Lisa Schantl

Mit Komik und Biss durch die Beinahe-Realität

Mercedes Spannagels Debüt schnell, turbulent, makaber.

Mit ihrem Debütroman Das Palais muss brennen setzt die Autorin und Maschinenbaustudentin Mercedes Spannagel einen rüttelfesten und zugleich bissig-komischen Anker in der deutschsprachigen Literaturszene. Ihr knapp zweihundert Seiten  umfassendes Buch ist wie eine Achterbahnfahrt durch die Politik und Jugendkultur im österreichischen 21. Jahrhundert: schnell, turbulent, makaber und eigentlich gar nicht zu skurril, um real zu sein.

Nach zwei kurzen Kapiteln in der Bundeshauptstadt, die uns zugleich mit der Protagonistin Luise und mit Spannagels präzisem, direktem, fast minimalistischem Erzählstil vertraut machen, finden wir uns auf einem Jagdanwesen in der Steiermark wieder. Schon hier wird klar, dass Spannagel das Spiel mit Stereotypen als Instrument zur Kritik versteht. Den Sohn eines  rechtskonservativen Politikers, der ihr die Sonne am Pool stiehlt, fragt Luise etwa geradeheraus, „warum er nicht beim Töten  sei“. Spannagel drückt ihrer Hauptfigur alles, nur kein Blatt vor den Mund und so nimmt das Buch schnell an Fahrt auf.

Die Erzählung gewinnt außerdem durch Luises familiäre Situation an Brisanz: Sie ist die Tochter der amtierenden Bundespräsidentin, will sich aber einfach nicht mit dieser Rolle abfinden. Sie rebelliert inmitten der rechten, ultrakonservativen Elite des Landes mit allen Mitteln. Sie ist laut und exzentrisch, legt sich als Pendant zu den vielen Windhunden ihrer Mutter einen Mops namens Marx zu und schmiedet mit ihren oftmals kunstaffinen Vertrauten einen Plan, die Regierung zu Fall zu
bringen. Ständig wird sie dabei mit ihrer familiären Lage konfrontiert und Fragen nach Zugehörigkeit, sozialen Milieus, politischen Denkweisen und ganz persönlichen, intimen Wünschen mischen sich in das Charakterbild.

Neben diesem Haupterzählstrang führt Luise auch ein dynamisches Leben, wie es Studierende ihres Alters eben tun. Sie  unterhält mehrere Gelegenheitsbeziehungen, lässt sich schnell und gern auf sexuelle Abenteuer ein und entdeckt in ihren Treffen mit der Leichtathletin Sef vielleicht auch so etwas wie Liebe. Unter Einbindung dieser Ebene gelingt es Spannagel, die  Ernsthaftigkeit ihrer politischen Themen mit einer gewissen Leichtigkeit und Sprunghaftigkeit zu erzählen, was ihren direkten Schreibstil weiter unterstreicht. Manchmal ertappt man sich daher beinahe in der Vorstellung, die Jugend- und Clubkultur Wiens wäre im Zentrum des Buchs und nicht das rechte Drama.

So wechselt die Kulisse zwischen Jagdschloss, „Palais“ – wie Luise die Villa nennt, in der sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester lebt –,  Studentenwohnungen und Wiener Cafés und Clubs und ist schneller am Höhepunkt angelangt, als man es vermutet hätte: dem Wiener Opernball. Der Coup scheint perfekt, doch letztendlich ist es nicht Luise, die den Wagon aus den Schienen bringt. Dieser Twist am Ende kommt unerwartet und verlangt fast nach einem enttäuschten Seufzer im letzten Drittel. Spannagel aber zeigt uns mit dieser Wendung, dass dort, wo wir Ungerechtigkeit vermuten, oft auch andere diese sehen und die Welt wieder in ihre Fugen zu bringen versuchen.

Spannagel beweist mit ihrem Debüt Stilsicherheit, interdisziplinäre Klugheit und Originalität. Sie spielt auf Kunstgeschichte und Popculture genauso an wie auf jüngste Politikgeschichte und lässt die Wiener Genusskultur in alldem nie zu kurz kommen. Wenn man die „nach k. u. k.-Monarchie“ duftende Villa mit der letzten Seite verlässt, merkt man erst, wie vertraut einem das Buch und sein Inhalt in so kurzer Zeit geworden sind. Es ist mit Sicherheit ein Roman für all jene, die das Komische in der Realität suchen und keine Scheu vor dem trockenen Humor haben, den sie dabei finden.

 

Rezensionen

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Differenzwiederholungen vom Feinsten „loop garou – invokationen“ – diesen Titel trägt Stefan Schmitzers neuer Lyrikband – und jenes besondere Wortspiel zu Beginn, das einerseits auf den französischen Werwolf („loup garou“),

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Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

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Markus Köhle:
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