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Heft 32

Erschienen in Heft 32, durchlesen
Ressort: Rezensionen

Myriam Keil:
Das Kind im Brunnen

rezensiert von Katharina J. Ferner

Jenseits von Gut und Böse

In Myriam Keils Das Kind im Brunnen stellt eine junge Frau sich der Frage nach ihrem Platz in der Gesellschaft und geht dabei auf Konfrontation.

Man berührt nichts jemals wirklich, kein Atom auf der Welt stößt jemals auf ein anderes, zwischen allen ist ein minimaler Abstand. Man spürt nie die Dinge an sich, nur ihren Abstand zueinander, elektromagnetische Wechselwirkung bestenfalls; das sollte doch eigentlich wie ein ständiger Schmerz sein, ein ständiges Fehlen von allem. Nichts auf der Welt berührt jemals etwas anderes.

Bei einem Spaziergang im Wald findet Iris einen Verlobungsring und wenig später den Teil eines Fotos. Ohne zu wissen warum, nimmt sie beide Dinge an sich. Besonders der Ring hat es ihr angetan. Iris bringt ihn zum Fundbüro, lässt sich aber zuvor eine Kopie anfertigen, die sie fortan trägt. Irgendetwas hält sie dazu an nachzuforschen, was den Besitzer des offensichtlich bedeutungsvollen Schmuckstückes dazu gebracht hat, sich ebendieses zu entledigen.

Der Roman ist in drei Teile gegliedert „Grenze zu Grenzen“, „Vom Ende der Welt“ und „Geschichten vom Anfang“. Die Teile hängen inhaltlich und chronologisch zusammen. Sie beschreiben
einen Bogen, der aber bis in Iris’ Kindheit ausschweift. Die Entwicklung in ihrer Figur wird mehrfach gebrochen. Sie ist eine Kämpferin, kann den Kampf, den sie austrägt, aber scheinbar nicht restlos gewinnen. Die Protagonistin ist Einzelgängerin. Sie empfindet dieses Schicksal als selbst gewählt und entzieht sich jeglicher Kontaktaufnahme. Wenn sie doch einmal Kontakt sucht, wird dieser entweder überschwänglich begrüßt oder aber komplett ignoriert. Die Grenzziehung findet auf mehreren Ebenen statt. Beruflich, privat und auch im Umgang mit ihren eigenen Gefühlen und ihrer Hintergrundgeschichte, die den Lesenden nur fallweise offenbart wird. Der ständige Wunsch nach Abschottung wird nicht von allen respektiert. Iris wird eine Freundschaft regelrecht aufgezwungen, was sich nicht unbedingt zu ihrem Vorteil auswirkt. Es ändert auch nichts an der Tatsache, dass sie von ihren restlichen Kollegen gemobbt wird. Obwohl Iris nach außen hin trotzig und hart wirkt, setzen ihr die täglichen Konflikte doch zu. Als sie sich auf die Suche nach dem Besitzer des Verlobungsrings macht, öffnet sich etwas in ihr. Die offenkundig negative Selbstwahrnehmung der Protagonistin weckt auch auf Leser- oder Leserinnenseite nicht gerade Sympathien. Die Frage danach, was passiert sein muss, dass eine Person so verbittert ist, bleibt
lange ungeklärt. Die unfaire Behandlung durch ihre Mitmenschen scheint teilweise selbst konstruiert zu sein. Trotz ihrer Selbstzweifel gibt sie sich erhaben. Die Möglichkeit des Rückzugs wurde ihr von den Mitmenschen bereits geraubt. Sie wird ungewollt zu einer persona non grata. Die fehlende Empathie in zwischenmenschlichen Beziehungen macht Iris aber durch ihre anderwärtig
vorhandene sensible Art wett. Eine Reflexion ihres eigenen Verhaltens und ihres Fühlens findet sehr wohl statt. Das äußert sich sprachlich, in Gedankenschleifen, die die Protagonistin nach sich zieht. Sie verfügt über eine feine Beobachtungsgabe und spürt Stimmungen und Atmosphären unmittelbar auf. Die Gedankenschleifen erzeugen einen natürlichen Strom. Gebrochen wird dieser nur durch die knapp gehaltenen Dialoge. Das Unvermögen der interagierenden Figuren, Worte füreinander zu finden, lässt Bruchstellen entstehen. Der Grund für die Unnahbarkeit, die wohl auch aus Selbstschutz resultiert, liegt wie so oft in der Vergangenheit. Trotz einiger Durststrecken, die einen die Geduld mit Iris verlieren lassen wollen, und mancher Vorahnungen, die sich vielleicht bewahrheiten, lohnt es sich durchzuhalten. Das rätselhafte Buch ist am Ende doch nicht so einfach zu entwirren, wie man anfangs meinen mag. Eine gewisse Leerstelle bleibt dennoch. Das nicht undramatische Ende lässt einen bedrückenden Beigeschmack zurück, der Schock bleibt aus. Myriam Keil ist dennoch ein äußerst stimmiger Roman gelungen und wer ein offenes Auge für Sprachfeinheiten hat, wird bestimmt seine Freude an Das Kind im Brunnen haben. Es ist auf eine erfrischende Art und Weise bösartig und durchaus eindringlich. Das Buch ist der erste Roman der Autorin. Zuvor erschienen bereits mehrere Lyrikbände, Erzählungen und das Jugendbuch Nach dem Amok.

Rezensionen

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Werner Fiedler:
Die Apokalypse des frommen Jakob

2024: edition kürbis, S. 243
rezensiert von Hermann Götz

Zeuge gegen Jehova Werner Fiedler wollte ein Drehbuch über seine Kindheit in einer Sekte schreiben. Es ist ein dichtes Buch geworden Jakob wächst mit seiner Mutter Monika auf, die die

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Stefan Schmitzer:
loop garou – invokationen

2024: Ritter, S. 96
rezensiert von Sophie Reyer

Differenzwiederholungen vom Feinsten „loop garou – invokationen“ – diesen Titel trägt Stefan Schmitzers neuer Lyrikband – und jenes besondere Wortspiel zu Beginn, das einerseits auf den französischen Werwolf („loup garou“),

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Priya Guns:
Dein Taxi ist da

2023: Blumenbar, S. 329
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Rezension: Eine Taxifahrt durch Welten Wie der Titel bereits ankündigt, erwarten Sie hier bestimmt eine klassische Rezension – und ich verspreche, die kommt auch noch – aber einleitend muss ich

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Kulturinitiative Kürbis Wies (Hg.):
Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen

2022: Edition Kürbis, S.
rezensiert von Hermann Götz

Der Geist von Wolfgang Bauer … … zu Gast in der schreibkraft-Redaktion. Mit einem Open Call for Minidramen hat die Edition Kürbis einen Coup gelandet: Über 160 Einreichungen zelebrierten vor

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Günther Kaip:
Rückwärts schweigt die Nacht

2022: Klever, S. 140
rezensiert von Stefan Schmitzer

Vergessen, surreal erinnert Günther Kaip verdichtet Lyrik, Prosa und Zeichnungen zu einem traumhaften Ganzen. „Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit

Buch

Sabine Haupt:
Die Zukunft der Toten

2022: die brotsuppe, S. 216
rezensiert von Hermann Götz

Dreizehn Sabine Haupts Erzählband „Die Zukunft der Toten“ macht Stippvisite auf der dunklen Seite des Mondes. „Jemand musste ihn verraten haben, oder verleumdet, vielleicht auch nur verwechselt.“ Kommt Ihnen bekannt

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Sarah Kuratle:
Greta und Jannis

2021: Otto Müller, S. 232
rezensiert von Hermann Götz

Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

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Markus Köhle:
Zurück in die Herkunft

2021: Sonderzahl, S. 208
rezensiert von Hermann Götz

Best of Poetry Markus Köhle wird in Zurück in die Herkunft zum Plagiatsjäger seiner selbst. Ok, über Slam-Poetry bedarf es hier keiner großen Worte. Dass Poesie als performative Kunst gelebt

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