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Heft 34

Erschienen in Heft 34, geht's noch?
Ressort: Rezensionen

Paul Parin:
Die Jagd – Licence for Sex and Crime.

rezensiert von Werner Schandor

Alter Analytiker!

Von der Geilheit des Jägers beim Schuss.

Er war altösterreichischer Aristokratenspross mit Schweizer Pass, Jude, Untersteirer, begeisterter Jäger, Arzt bei den Partisanen, Psychoanalytiker in Zürich, Ethnologe in Afrika, Schriftsteller, liebender Ehemann und Päderast, der, wenn man das aus seinen autobiografischen Erzählungen folgern darf, ab und zu jungen Buben den nackten Hintern peitschte, bevor er mit ihnen verkehrte. Die Schublade, in die Paul Parin (1916-2009) passt, muss erst noch gezimmert werden. Sie müsste auf jeden Fall ziemlich viel Fassungsvermögen haben.

Die Brüder Johannes und Michael Reichmayr – Psychoanalytiker bzw. Bibliothekar – haben die ehrenvolle Aufgabe unternommen, das literarische Werk dieses Tausendsassas, das ursprünglich in der Europäischen Verlagsanstalt (EVA) erschienen ist, im Wiener Mandelbaum-Verlag neu und vollständig herauszugeben. Und sie haben zu diesem Behufe im Herbst 2018 mit dem letzten Buch Paul Parins begonnen: Die Jagd – Licence for Sex and Crime. Erzählungen und Essays. Da geht es gleich ans Eingemachte. In der Kurzgeschichte „Der Haselhahn“ erfahren wir, wie der 13-jährige Paul heimlich ein Gewehr aus dem väterlichen Schrank entwendet, damit in den Wald geht und einen Haselhahn anlockt. Als er diesen mit einem Blattschuss erledigt, geht ihm gleichzeitig einer ab. „Eine unerträgliche Spannung, irgendwo im Unterleib, etwas muss geschehen. Plötzlich löst sich die Spannung, in lustvollen Stößen fließt es mir in die Hose (schiff‘ ich mich an?), nein, es ist das, der wunderbare Samenerguss, der erste bei Bewusstsein. […] Seither gehören Jagd und Sex zusammen.“ Für den späteren Psychoanalytiker ist die sexuelle Erregung der Punkt, von wo aus er die Jagdleidenschaft immer wieder zu ergründen versucht – in weiteren Erzählungen, aber auch in analytischen Texten über die Lebensgeschichten des unglücklichen österreichischen Kronprinzen Rudolf sowie des jagdbegeisterten amerikanischen Präsidenten Theodor Roosevelt. Parin reflektiert über ödipale Konflikte, die sich in der Tötung von gefährlichem Großwild auflösen lassen, er weist auf die feste Verbindung zwischen Jagd- und Mordlust hin und beschreibt, wie Rituale das damit verbundene Triebgeschehen abfedern. Wer bei Parin auf eine Verherrlichung bzw. eine Verteufelung der Jagd wartet, wird gleichermaßen enttäuscht sein. Verteufeln kann er die Jagd nicht, weil er sie leidenschaftlich betreibt, und der Verherrlichung steht die offene Verknüpfung mit der Sexualität entgegen, die konservative Jagdbegeisterte vor den Kopf stoßen muss. Zumal diese Verknüpfung einen sehr eigenen Einschlag aufweist: Als Strafe, dass er bei einer Fuchsjagd aus der Kette der Treiber ausschert, lässt der Vater, ein Gutsbesitzer aus dem Kreis Celje/Cilli in der ehemaligen Untersteiermark, den jungen Paul von seinem Förster Ivan zu pädagogischen Zwecken mehrfach auspeitschen. Bei der letzten derartigen „Behandlung“ wird der zitternde, nackte Junge im Anschluss von einem jungen Knecht oral befriedigt. Fertig ist die perverse Vorliebe, mit der Parin in seinen Texten sehr offen umgeht. So offen, dass Verlegerin und Lektorat der EVA nach Strich und Faden in den Texten fuhrwerkten und 2003 eine schwer verstümmelte Variante des Buches herausbrachten, wie Michael Reichmayr in der editorischen Notiz zur unzensurierten Neuauflage ausführt.

Aus literarischer Sicht ist dem ersten Verlag der Versuch editorischer Eingriffe nicht zu verdenken, denn Paul Parins Konglomerat aus Erzählungen, Reflexionen und Betrachtungen folgt zwar der Jagd als thematisch blutrotem Faden, aber stilistisch merkt man den Texten eine heterogene Entstehungsgeschichte an: Sie dürften sich über Jahrzehnte in der Schreibtischschublade des Autors angesammelt haben. Auch das Kernstück des Buches, der „Lebensroman eines Truthahnjägers“, der die Motive Kindheit in Slowenien, Päderastie, Jagd- und Mordlust noch einmal ausbreitet, hat Passagen, die nicht fertigerzählt wirken. Insgesamt ist Parins literarischer Stil frei von nennenswerten Höhepunkten. Größere Strahlkraft entwickelt das Buch hingegen, wenn man es als Lebenszeugnis eines unglaublich facettenreichen Menschen nimmt, wie sie die moderne Welt mit ihren allzeit paraten politischen Korrekturprogrammen nicht mehr hervorzubringen scheint. Lohnend ist die Lektüre von Die Jagd – Licence for Sex and Crime auch für jene Leser, die sich unvoreingenommen mit dem vielschichtigen Thema Jagd befassen wollen. Wertvolle Impulse liefert dazu der schon für sich lesenswerte Essay „Vom Mörder zum Jäger und zurück“ der Zoologin Karoline Schmidt im Anhang des Buches – nebst Beiträgen von Gesine Krüger und dem Doyen der Ethnopsychoanalyse, Mario Erdheim.

Rezensionen

Buch

Werner Fiedler:
Die Apokalypse des frommen Jakob

2024: edition kürbis, S. 243
rezensiert von Hermann Götz

Zeuge gegen Jehova Werner Fiedler wollte ein Drehbuch über seine Kindheit in einer Sekte schreiben. Es ist ein dichtes Buch geworden Jakob wächst mit seiner Mutter Monika auf, die die

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Stefan Schmitzer:
loop garou – invokationen

2024: Ritter, S. 96
rezensiert von Sophie Reyer

Differenzwiederholungen vom Feinsten „loop garou – invokationen“ – diesen Titel trägt Stefan Schmitzers neuer Lyrikband – und jenes besondere Wortspiel zu Beginn, das einerseits auf den französischen Werwolf („loup garou“),

Buch

Priya Guns:
Dein Taxi ist da

2023: Blumenbar, S. 329
rezensiert von Lisa Höllebauer

Rezension: Eine Taxifahrt durch Welten Wie der Titel bereits ankündigt, erwarten Sie hier bestimmt eine klassische Rezension – und ich verspreche, die kommt auch noch – aber einleitend muss ich

Buch

Kulturinitiative Kürbis Wies (Hg.):
Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen

2022: Edition Kürbis, S.
rezensiert von Hermann Götz

Der Geist von Wolfgang Bauer … … zu Gast in der schreibkraft-Redaktion. Mit einem Open Call for Minidramen hat die Edition Kürbis einen Coup gelandet: Über 160 Einreichungen zelebrierten vor

Buch

Günther Kaip:
Rückwärts schweigt die Nacht

2022: Klever, S. 140
rezensiert von Stefan Schmitzer

Vergessen, surreal erinnert Günther Kaip verdichtet Lyrik, Prosa und Zeichnungen zu einem traumhaften Ganzen. „Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit

Buch

Sabine Haupt:
Die Zukunft der Toten

2022: die brotsuppe, S. 216
rezensiert von Hermann Götz

Dreizehn Sabine Haupts Erzählband „Die Zukunft der Toten“ macht Stippvisite auf der dunklen Seite des Mondes. „Jemand musste ihn verraten haben, oder verleumdet, vielleicht auch nur verwechselt.“ Kommt Ihnen bekannt

Buch

Sarah Kuratle:
Greta und Jannis

2021: Otto Müller, S. 232
rezensiert von Hermann Götz

Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

Buch

Markus Köhle:
Zurück in die Herkunft

2021: Sonderzahl, S. 208
rezensiert von Hermann Götz

Best of Poetry Markus Köhle wird in Zurück in die Herkunft zum Plagiatsjäger seiner selbst. Ok, über Slam-Poetry bedarf es hier keiner großen Worte. Dass Poesie als performative Kunst gelebt

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