x
Anfrage senden

Heft 27

Erschienen in Heft 27, zweifelhaft
Ressort: Rezensionen

Sophie Reyer:
Marias. Ein Nekrolog

rezensiert von Sarah Fötschl

Medea und Kolleginnen

Kindesmord von 1787 bis in die Gegenwart

Sophie Reyer kompiliert in ihrer jüngsten literarischen Publikation Marias. Ein Nekrolog verschiedene literarische Quellen, Kataloge und Gutachten von sogenannten Kindsmörderinnen: Dokumente aus Frauen-Dokumentationszentren, Kriminalmuseen, Haftanstalten und der „hohen Literatur“. Reyer entwickelt daraus eine auf mehreren Ebenen arbeitende Prosa, die sprachlich formal konsequent und genau ausgeführt Perspektiven auf Medea und ihre zeitgenössischen Kolleginnen wirft. Nicht zuletzt auch das Medea-Motiv selbst und den Umgang mit diesem kommentiert Reyer auf weiteren Kadenzen in C-Dur.

Klar rhythmisiert und formal requiemartig überarbeitet Reyer die Versuche einer nach Normen strebenden strafenden psychiatrischen Sprachwelt: War Maria kriminell oder doch „nur“ schwach an Verstand und Begriffen? Sind es die ökonomischen Randbedingungen oder die „reine“ Absicht zu töten, wenn Maria die Nabelschnur um den frisch geschlüpften Säugling legt? Ist es der Knecht, der sich weigert, die Leiche als sein eigenes Fleisch und Blut anzuerkennen, oder die staubige Dachkammer, die es einer weiteren Maria trotz allem ermöglichen, dass sie beim Kindsmord geistig und körperlich in einwandfreiem Zustand war?
Die Dokumente decken Identitäten, gesellschaftliche Teilzustände und Verhältnisse exemplarisch vom Jahr 1787 bis zur Gegenwart ab. Aus den Marias, Annas und Theresias werden Katharinas, Monikas und Alices, aus den potentiellen Samenspendern mit Namen wie Johannes oder „Knecht“ werden Ehemänner oder amerikanische Soldaten. Die Motive bleiben dieselben, aber das direkte oder indirekte Mitwirken der Männer an den Morden bleibt meist im Unklaren, selbst wenn die Verhältnisse sich geändert haben oder die Indizien und Motive für die Unschuld der Frauen sprächen. Reyer schreibt „mann“ wenn sie „man“ meint und aber damit „Mann“ meint. Das Changieren zwischen Täter und Opfer wird wiederholt und präzise herausgearbeitet und diskutiert, formal bleibt Reyer dabei stringent und benennt trotzdem Bußgelder namenloser Frauen, Strafgelder in Preußen, Juristenfakultäten und Dienstherren.

Ein Versuch, jenen vielen Frauen Begriffe und Worte zu geben, die „aus ihrer Verzweiflung nirgends hinwussten“ oder andere „institutionelle Probleme“ hatten – Sophie Reyer macht das mit Bravour und lässt dabei auch Goethes Juristerei nicht sprachlos davonkommen. Dass moderne Befruchtungstechniken und Persönlichkeitsrechte von Frauen auch in der Gegenwart wenig vom Charme mittelalterlicher Diskussionen missen lassen, zeigt Reyer unerschrocken und imposant auf: „Big brother is watching big mother“; denn dass Frauen durch ihre Biologie dem Wahnsinn näher stünden als Männer, verstehe sich von selbst. Reyer plädiert für Aufklärung, gegen Faschismus und gibt sich dabei erfrischend kämpferisch und sehr, sehr klar. Wer kein Blut sehen kann und/oder einen empfindlichen Magen hat, sollte dieses Buch nüchtern beginnen.

Rezensionen

Buch

Werner Fiedler:
Die Apokalypse des frommen Jakob

2024: edition kürbis, S. 243
rezensiert von Hermann Götz

Zeuge gegen Jehova Werner Fiedler wollte ein Drehbuch über seine Kindheit in einer Sekte schreiben. Es ist ein dichtes Buch geworden Jakob wächst mit seiner Mutter Monika auf, die die

Buch

Stefan Schmitzer:
loop garou – invokationen

2024: Ritter, S. 96
rezensiert von Sophie Reyer

Differenzwiederholungen vom Feinsten „loop garou – invokationen“ – diesen Titel trägt Stefan Schmitzers neuer Lyrikband – und jenes besondere Wortspiel zu Beginn, das einerseits auf den französischen Werwolf („loup garou“),

Buch

Priya Guns:
Dein Taxi ist da

2023: Blumenbar, S. 329
rezensiert von Lisa Höllebauer

Rezension: Eine Taxifahrt durch Welten Wie der Titel bereits ankündigt, erwarten Sie hier bestimmt eine klassische Rezension – und ich verspreche, die kommt auch noch – aber einleitend muss ich

Buch

Kulturinitiative Kürbis Wies (Hg.):
Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen

2022: Edition Kürbis, S.
rezensiert von Hermann Götz

Der Geist von Wolfgang Bauer … … zu Gast in der schreibkraft-Redaktion. Mit einem Open Call for Minidramen hat die Edition Kürbis einen Coup gelandet: Über 160 Einreichungen zelebrierten vor

Buch

Günther Kaip:
Rückwärts schweigt die Nacht

2022: Klever, S. 140
rezensiert von Stefan Schmitzer

Vergessen, surreal erinnert Günther Kaip verdichtet Lyrik, Prosa und Zeichnungen zu einem traumhaften Ganzen. „Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit

Buch

Sabine Haupt:
Die Zukunft der Toten

2022: die brotsuppe, S. 216
rezensiert von Hermann Götz

Dreizehn Sabine Haupts Erzählband „Die Zukunft der Toten“ macht Stippvisite auf der dunklen Seite des Mondes. „Jemand musste ihn verraten haben, oder verleumdet, vielleicht auch nur verwechselt.“ Kommt Ihnen bekannt

Buch

Sarah Kuratle:
Greta und Jannis

2021: Otto Müller, S. 232
rezensiert von Hermann Götz

Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

Buch

Markus Köhle:
Zurück in die Herkunft

2021: Sonderzahl, S. 208
rezensiert von Hermann Götz

Best of Poetry Markus Köhle wird in Zurück in die Herkunft zum Plagiatsjäger seiner selbst. Ok, über Slam-Poetry bedarf es hier keiner großen Worte. Dass Poesie als performative Kunst gelebt

    Anfrage

    Möchten Sie ein Heft bestellen?
    Bitte geben Sie die Heft-Nr. und Ihre Adresse an:

    Ihre Kontaktdaten werden zum Zweck der Kontaktaufnahme im Rahmen dieser Anfrage gespeichert. Mit dem Absenden dieses Formulars stimmen Sie dieser Verwendung zu. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.