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Erschienen in Stefan Schmitzer: loop garou – invokationen, loop garou – invokationen
Ressort: Rezensionen

Stefan Schmitzer:
loop garou – invokationen

rezensiert von Sophie Reyer

Differenzwiederholungen vom Feinsten

„loop garou – invokationen“ – diesen Titel trägt Stefan Schmitzers neuer Lyrikband – und jenes besondere Wortspiel zu Beginn, das einerseits auf den französischen Werwolf („loup garou“), aber auch auf die Wiederholung einer Sound-Struktur („loop“, englisch) verweist, eröffnet Räume. Dass das Prinzip des „Loop“ gerne in der elektronischen Musik angewendet wird, erklärt bereits einiges über die Machart der Texte, nimmt ihre klangliche – aber auch technische – Orientierung vorweg, noch bevor der Band startet:

Klanglich deshalb, weil Stefan Schmitzer einer ist, der seine Texte beim Schreiben nicht nur innerlich durchhört, sondern sie auch in alter Barden-Tradition immer überaus musikalisch vorträgt, und technisch, weil das, was da aufgearbeitet wird, einem durchaus durchdachten Strukturprinzip unterliegt.

„invokationen“ nennt der Autor seine sprachlichen Gebilde – und diese haben ganz unterschiedliche Themen. Allen aber ist eines gemeinsam: Pathos schwappt in Humor über, Archetypisches wird fett aufgetragen und dann ironisiert, eine Anspielung jagt die andere und scheinbare Repetitionen, die immer ein bisschen anders mit dem Material umgehen – ich nenne sie hier einfach „Differenzwiederholungen“ –, bestimmen die Form.

Einmal Schöpfungsgeschichte und zurück bitte!
Zunächst beginnt unsere Reise bei dem russisch-armenischen Astrophysiker Nikolai Semjonowitsch Kardaschow, den Schmitzer gleich noch einmal die gesamte Schöpfungsgeschichte erleben lässt:

„hier der leere himmel, da die leere erde.
und die leere erde füllt sich.
mit macht füllt sich im zuge der geschichte die leere erde“,

lesen wir in der ersten Invokation.
So weit, so archetypisch.

Doch dieser mythologische Ton wird sofort augenzwinkernd verwandelt,
als es weiter heißt:

„macht gedacht als der menschliche zugriff auf die kraft die
in den dingen auf der leeren erde steckt. materialisiert in
fischreusen und wolkenkratzern e-gitarren und nylon.“

Und das ist erst der Beginn! Denn die Suchbewegung hat noch nicht einmal begonnen:
In den darauf folgenden Textgebilden, die Schmitzer da in seinem bei Ritter erschienenen Band vor uns auffaltet, folgen wir zunächst den Schöpfungsideen Kardaschows, um dann – plumps – völlig unvermittelt bei Freud zu landen, der in Briefform angesprochen wird, wobei Schmitzer hier in indirekter Form die Machtausübung an (weiblichen) Körpern, die von der Regierung verfolgt und bespitzelt werden, und zwar „durch die gegend auf dem gps-grid“, kritisiert. Dass Dichtung bei Stefan Schmitzer immer auch politisch ist und dem tagesaktuellen Geschehen einen Spiegel vorhalten will, ist spätestens jetzt klar. Doch auch dabei allein bleibt es nicht.

Nein, der Umgang mit historischem Material ist dem Autor ebenfalls ein Anliegen: Was folgt, ist demnach eine – ähnlich politisch motivierte – Auseinandersetzung mit sämtlichen Figuren der griechischen Mythologie: Von Aphrodite über Zeus, von Demeter bis Mnemosyne wird eine Fülle von Sagengestalten thematisiert und in die Gegenwart transferiert. Dass auch hier Witz und Schalkhaftigkeit nicht fehlen dürfen, ist spätestens nach der dem Weingott Dionysos gewidmeten Invokation klar, in der Schmitzer jetzt auch mit dialektalen Einfärbungen kokettiert:

„hier b’soffemer bursch
fesch b’saffemer bursch
liegt noch so da von gest abmd
liegt noch so da auf den küchenfliesm“, schreibt Schmitzer, und sofort sind sämtliche Abgründe dieser göttlichen Instanz für uns greifbar.

Was jedoch jetzt folgt, ist ein absoluter Stilbruch – denn in einem neuen Abschnitt, „zaubermächtige quadrate“ genannt, geht unser Dichter weg von seinem elaborierten Differenz-Wiederholungs-Prinzip und ordnet Wortfelder scheinbar kreuzworträtselähnlich in Quadraten an. Doch Vorsicht: Wenn man genau liest, dann haben auch die einen klaren Inhalt! Spannend, oder?

loop garou ist ein besonderes Buch, das Fährten legt, sie nicht verfolgt, ganz postmodern mit Stilen spielt, Regeln aufstellt, sie wieder bricht – und dabei doch ein ernsthaftes künstlerisches und menschliches Anliegen verfolgt: Das, vorherrschende Machtstrukturen sowohl inhaltlich als auch sprachlich zu unterwandern. Ein gelungenes Buch.

 

 

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