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Heft 25

Erschienen in Heft 25, schön blöd
Ressort: Rezensionen

Stephan Roiss:
Gramding. Prosa

rezensiert von Werner Schandor

Tollheiten, Torsionen, Tote

Stephan Roiss beschreibt ein Jahr Zivildienst in einem Altersheim

Gramding heißt das Prosadebüt des Oberösterreichers Stephan Roiss. Was ein gutes Wortspiel wäre – das Ding, das einen grämt –, ist der fiktive Name einer oberösterreichischen Bezirksstadt, in der Wolfgang, der Held des kurzen Textes, seinen Zivildienst in einem Altersheim absolviert. Beworben hat er sich um eine Stelle bei den Kinderfreunden, gelandet ist er dort, wo Menschen ihre letzte Runde vor dem Friedhof einlegen.

Wolfgangs idealistische Vorstellung, man würde beim Zivildienst im Altersheim viel Zeit mit alten Menschen verbringen, sich bei „Fang den Hut“ ihre Lebenserinnerungen anhören und en passant vielleicht sogar mit seiner eigenen, positiven Lebenseinstellung einen alten Nazi bekehren können, weicht schnell der Ernüchterung: Das Pflegepersonal ist mehr oder minder rund um die Uhr damit beschäftigt, inkontinente und demente alte Menschen sauber zu halten, zu füttern und daran zu hindern, dass sie Blödsinn machen. Mehr an Zuwendung ist rein zeitlich nicht drinnen – von der psychischen Belastung ganz abgesehen.
Um Geld zu sparen, wohnt Wolfgang selbst im Heim. Seine Gedanken und Erfahrungen notiert er im Weißraum von Gottfried Benns Sämtlichen Gedichten in einer gelbstichigen Ausgabe aus dem Jahr 1983. „Ich schlug das Buch auf, griff zum Kugelschreiber und schrieb unter ein Gedicht namens Betäubung das Wort Zivildienst. Den Vers ‚wo Lust und Leiche winkt‘ hob ich mit gelbem Stift hervor. Womöglich aufgrund seiner unsauberen Grammatik. Meine Hände rochen nach Desinfektionsmittel.“

Das Altersheim, wo laufend Leute sterben, wird gewissermaßen zum Prüfstein der Lebenstauglichkeit des jungen Mannes. Nicht nur, dass sich Wolfgang seine hehren Vorstellungen von menschenwürdiger Altersversorgung abschminken muss, macht ihm auch ein – in einem einzigen Satz abgehandeltes – Techtelmechtel mit der Nachtschwester einen Strich durch seine Beziehungsrechnung. Seine Freundin Natalie macht Schluss mit ihm, meldet sich aber nach drei Wochen wieder mit einer besorgniserregenden Nachricht, welche die nach dem Zivildienst geplante Weltreise schwer infrage stellt: Die Regel ist überfällig …

Stephan Roiss schildert das bewegte Jahr eines Zivildieners in Rückblenden, Tagebuchnotizen und Reflexionen, wobei dramaturgisch gewitzt immer das Damoklesschwert allzu früher Vaterfreuden über ihm schwebt. Wo andere Autoren die Begebenheiten und Überlegungen dieses lebensverändernden Zivildienstjahres auf 300 Seiten ausgewalzt hätten, begnügt sich Roiss mit nicht einmal 60. Sein Stil ist demnach – vielleicht der Lektüre der Benn-Gedichte geschuldet – eher lyrisch verknappt zu nennen. Das hat zwar seine Qualitäten, ist aber insgesamt schade, denn man würde dieser pointierten, intelligenten Erzählstimme, die so souverän die Ereignisse Revue passieren lässt, sehr gerne länger zuhören. Wolfgangs Erkenntnis nach zwölf Monaten ist jedenfalls ernüchternd: „… ich habe gelernt, dass ein Bewusstseinsstrom versickern kann und dass der Sitz der Seele ein Leibstuhl ist; ich sehe Haut reißen wie Papier, Rippen brechen wie Gräten, Tollheiten, Torsionen, Tote: Nichts davon fährt mir durch Mark und Bein wie das Abgestorbensein vor dem eigentlichen Ende.“

Rezensionen

Buch

Werner Fiedler:
Die Apokalypse des frommen Jakob

2024: edition kürbis, S. 243
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Zeuge gegen Jehova Werner Fiedler wollte ein Drehbuch über seine Kindheit in einer Sekte schreiben. Es ist ein dichtes Buch geworden Jakob wächst mit seiner Mutter Monika auf, die die

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Stefan Schmitzer:
loop garou – invokationen

2024: Ritter, S. 96
rezensiert von Sophie Reyer

Differenzwiederholungen vom Feinsten „loop garou – invokationen“ – diesen Titel trägt Stefan Schmitzers neuer Lyrikband – und jenes besondere Wortspiel zu Beginn, das einerseits auf den französischen Werwolf („loup garou“),

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Priya Guns:
Dein Taxi ist da

2023: Blumenbar, S. 329
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Rezension: Eine Taxifahrt durch Welten Wie der Titel bereits ankündigt, erwarten Sie hier bestimmt eine klassische Rezension – und ich verspreche, die kommt auch noch – aber einleitend muss ich

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Kulturinitiative Kürbis Wies (Hg.):
Der Mann, der sich weigert, die Badewanne zu verlassen

2022: Edition Kürbis, S.
rezensiert von Hermann Götz

Der Geist von Wolfgang Bauer … … zu Gast in der schreibkraft-Redaktion. Mit einem Open Call for Minidramen hat die Edition Kürbis einen Coup gelandet: Über 160 Einreichungen zelebrierten vor

Buch

Günther Kaip:
Rückwärts schweigt die Nacht

2022: Klever, S. 140
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Vergessen, surreal erinnert Günther Kaip verdichtet Lyrik, Prosa und Zeichnungen zu einem traumhaften Ganzen. „Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit

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Sabine Haupt:
Die Zukunft der Toten

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rezensiert von Hermann Götz

Dreizehn Sabine Haupts Erzählband „Die Zukunft der Toten“ macht Stippvisite auf der dunklen Seite des Mondes. „Jemand musste ihn verraten haben, oder verleumdet, vielleicht auch nur verwechselt.“ Kommt Ihnen bekannt

Buch

Sarah Kuratle:
Greta und Jannis

2021: Otto Müller, S. 232
rezensiert von Hermann Götz

Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

Buch

Markus Köhle:
Zurück in die Herkunft

2021: Sonderzahl, S. 208
rezensiert von Hermann Götz

Best of Poetry Markus Köhle wird in Zurück in die Herkunft zum Plagiatsjäger seiner selbst. Ok, über Slam-Poetry bedarf es hier keiner großen Worte. Dass Poesie als performative Kunst gelebt

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