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Heft 34

Erschienen in Heft 34, geht's noch?
Ressort: Rezensionen

Ursula Wiegele:
Was Augen hat und Ohren

rezensiert von Hermann Götz

Fellini 2.0

Ursula Wiegele stemmt sich in ihrem Roman Was Augen hat und Ohren mit den Mitteln der Poesie gegen den Social-Media-Zeitgeist.

Musik muss nicht Thema sein. Sie kann auch in Texten leben, sie beleben, tanzen machen. Wie Silberfäden in einen Gobelin, ist Musik in die Texte von Ursula Wiegele gewirkt – so durchdringt sie, oft unsichtbar, aber stets gegenwärtig das Geflecht der Worte und Bilder. Wiegeles Erzählen präsentiert Dichtung, als ein Fluss sorgsam komponierter Silben, der – fast ließe sich sagen: wie im Vorübergehen – Handlung generiert. Passend dazu ist in ihren Romanensich als Cello, stromabwerts (2011) und Im Glasturm (2015) die Musik auch Motiv. Im neuen und dritten Roman Was Augen hat und Ohren, kommt ihr – vordergründig – keine besondere Rolle zu. Von Bogdan dem rumänischen Schauspieler erzählt Ursula Wiegele, dem Emigranten und Reisenden, dem Heimatlosen und -suchenden, der sich, um Wohnung und Alimente zahlen zu können, für einen dubiosen Oligarchen prostituiert. Dieser lässt ihn erst Fellini-Szenen nachspielen, um ihn dann mittels versteckter Kamera immer weiter in eine Inszenierung zu locken, die Bogdan in seiner rumänischen Heimat zum Soap-Star machen soll. Unser Protagonist lässt sich zum Spielball machen, das ist beinahe wörtlich gemeint, er wird durch eine Geschichte getrieben, die nicht seine eigene ist, sondern – wie er und wir Lesende Schritt für Schritt feststellen – jene seines durch eine Reality-Show samt flankierenden Social-Media-Maßnahmen generierten Alter Egos. In der Figur des Oligarchen Traian (kann gut sein, dass der Name an den römischen Kaiser erinnert, dessen berühmte Siegessäulen als 200m lange Propaganda-Comics in Stein gemeißelte Zeugen medialer Machtstützen sind) offenbart sich die multiple Boshaftigkeit der mediatisierten Gegenwart: Deren Arm reicht zurück in die Zeiten der Unterdrückung und Bespitzelung im Ceaușescu-Regime, von dessen Fall der heutige Medienmogul erst recht profitiert zu haben scheint. Dieser Trajan steht eben nicht nur für die Verbrechen der Vergangenheit, sondern auch für jene jetzt und hier. Wurde Bogdan als kritischer Künstler im Kommunismus verfolgt, so gibt der Oligarch ihn nun der Sensationslust der Facebook-User preis. Die Diktatur des Ceaușescu ist jener des Kapitals gewichen und diese wiederum regiert inzwischen mittels einer kaltblütigen Ökonomie der Aufmerksamkeit. Die Konstante in diesem Spiel dessen, Spielbälle wir – so die Botschaft – wohl mehr oder weniger alle sind, ist Bespitzelung: der Verlust von Privatheit, letztlich von Identität.

Bis hierher lässt sich Wiegeles neuer Roman auch als Polemik lesen. Der Kurzschluss zwischen dem staatlichen Spitzelsystem im Kommunismus und der Konstruktion des Gläsernen Menschen in der Zuckerberg‘schen Gesichtsbuchhaltung gelingt mühelos. Mit Traian als schmierigem Gelenk erfährt er eine durchaus klischeehafte Personifikation. Aber es geht in „Was Augen hat und Ohren“ nur mittelbar um rumänische Oligarchen und auch nicht um Polemik (wogegen auch immer). Es geht um Bogdan. Um den Menschen und Schauspieler, der sich zu diesen Zumutungen verhält, ja verhalten muss. Anders als sein Feind Traian ist dieser Bogdan durchaus keine eindimensionale Figur. Wiegele erzählt eben von Bogdan und davon, was Überwachung, Inszenierung mit ihm macht. Mit den Worten und Bildern aus dem Kopf des Schauspielers, der zum hilflosen Protagonisten seines von fremden Kräften erfundenen Scheinlebens wird, verhandelt sie die Zumutungen eines medial transzendierten Alltags ebenso wie deren offensichtliche Begleiterscheinung: die Abwesenheit von Leben. Bogdan wartet. Er lässt sich von Inszenierung zu Inszenierung schieben und begegnet jedem Moment Leben, den dieser Exzess der Langeweile an den Rändern seines Daseins anspült, voller Misstrauen: ist auch das Inszenierung? Eine Falle gar? Fellini lässt grüßen. Die Antwort des Protagonisten hat – erraten – sehr viel mit Kunst zu tun. Bogdan verkehrt die Sinnlosigkeit für Social Media aufgemotzter Tagebuch-Tweets in Gedichte, er dokumentiert seine Tage in kleinen Wortkunstwerken. Und da sind sie wieder: der Sound, der Rhythmus, die Poesie. Wiegele platziert sie in ihrem Text als störrische Mittel der künstlerischen Selbstermächtigung. Ihre Schönheit flimmert durch die Erzählung als Fremdkörper in der Welt der Behauptungen; als Schlüssel zur Wahrhaftigkeit des Zaghaften, des Uneindeutigen, der Musik zwischen den Zeilen.

Rezensionen

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Vergessen, surreal erinnert Günther Kaip verdichtet Lyrik, Prosa und Zeichnungen zu einem traumhaften Ganzen. „Rückwärts schweigt die Nacht“ – der Titel verräumlicht gewissermaßen, was beim Vergessen mit der gelebten Zeit

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Dreizehn Sabine Haupts Erzählband „Die Zukunft der Toten“ macht Stippvisite auf der dunklen Seite des Mondes. „Jemand musste ihn verraten haben, oder verleumdet, vielleicht auch nur verwechselt.“ Kommt Ihnen bekannt

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Vom Anfang oder Ende der Zeit Sarah Kuratles märchenhaft dichter Roman Greta und Jannis. Sarah Kuratle hat ein Märchen geschrieben. Oder nein: einen Roman. Einen ganz und gar märchenhaften. Die

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rezensiert von Hermann Götz

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