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Heft 18

Erschienen in Heft 18, genug
Ressort: Editorial

genug kann nie genügen?

Andreas R. Peternell

„Mehr“ ist im Regelfall heiß begehrt. Mehr Geld, mehr Freunde, mehr Autobahnkilometer. Was gäbe es daran auch groß auszusetzen? Doch schon auf den zweiten Blick stellt man fest: Mehr Geld bedeutet Inflation, mehr Freunde (selbst wenn man sie tipptopp in facebook verwaltet) sozialen Stress, und mehr Autobahnkilometer müssen auch irgendwie erhalten werden. Und dennoch ist der naive Glaube an das Immer-Mehr, an das permanente Wachstum, auf dem die Marktwirtschaft (immerhin das beherrschende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem der letzten 20 Jahre) beruht, offenbar nicht aus unseren Köpfen zu bekommen. Aus unseren Bäuchen übrigens auch nicht, wie Clemens Marschall in seiner Reportage über den alljährlichen Wettfresscontest der amerikanischen Hot Dog-Kette Nathan’s ausführt.

Aber ist der Kapitalismus wirklich böse? – Zweifellos, ist Günter Eichberger überzeugt und führt die Herren Flöttl, Kafka und den „Bankomat seines Vertrauens“ als Zeugen an; ist tatsächlich Josef Ackermann Schuld? – Nein, ist er nicht, findet Bernhard Horwatitsch, zumindest nicht allein; oder eben doch Gott, respektive seine irdischen Interpreten? – Möglicherweise, entdeckt Stefanie Lehrner, ist doch die Aufforderung, „Seid fruchtbar und mehret euch!“ bereits in der Bibel nachzulesen.

Wir alle sind also in göttlichem Auftrag unterwegs – und das ziemlich erfolgreich: Menschen, Autos und Mobiltelefone, Balsamicosorten, Staatsgarantien und Lebensmittelmotten, Hundstrümmerln, Kunstbiennalen und Bankenrettungspakete – von allem gibt’s im Überfluss. Doch gerade jetzt, wo der neoliberale Mainstream der letzten Jahrzehnte spektakulär gescheitert ist, wo Vorzeigeunternehmungen des Finanzkapitalismus nur durch milliardenschwere Staatssubventionen überleben können und den- noch über Lohnkürzungen, Kurzarbeit oder Entlassungen nachdenken – gerade jetzt sind immer größere Bevölkerungsgruppen von der Teilhabe an wesentlichen Bereichen des sozialen Lebens ausgeschlossen. Und obwohl weltweit zweifellos ausreichend Ressourcen verfügbar wären, ist das Interesse an deren ausgewogener Verteilung, um Grundversorgung, Wohl- stand, Demokratie, Menschenrechte und Bildung zu gewährleisten, nicht sehr stark ausgeprägt, wie Harald A. Friedl in seiner Analyse des Energie-Kolonialismus in der Sahara beweist. Simple Lösungen bieten da – wie so oft – nur das Privatfernsehen mit seinem Parallelarbeitsmarkt der Castingshows, durchleuchtet von Julian Blunk, und der Rechtspopulismus, von dessen gewalttätigen Auswüchsen Roland Steiner in seiner Reportage aus Italien berichtet.

Was also tun in Zeiten, in denen der Superlativ zum Selbstzweck wird? Was tun, wenn ein gepflegter Amoklauf als einzig vernünftige Reaktion des mündigen Bürgers erscheint? Genügen einfach „ein paar Subversive, die die Gesetze der Marktwirtschaft außer Kraft setzen“, wie Beate Tröger in ihrem Grazer Lesetagebuch konstatiert? (Schon erledigt übrigens, damit sind nämlich wir gemeint, die schreibkraft-Redaktion!) Oder folgen wir lieber Stefanie Lehrner mit ihrem Aufruf zu mehr Qualität: „Lieber weniger und dafür gut. Lieber weniger und dafür intensiv. Lieber weniger und dafür richtig.“

Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht  ich Ihnen  im  Namen  der schreibkraft-Redaktion

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