Der vielstimmige Durchschnittsstarschnitt zum Sammeln.
Jeder kennt das: Man hat einen Song im Ohr und der geht nicht mehr weg. An dem Morgen war das ein extrem pathologischer Loop von Burning Down the House, nämlich nur die Zeile „I am an ordinary guy“, in Endlosschleife, intoniert von einer Clusterstimme, die mein Zerebralmischpult zu gleichen Teilen aus denen von David Byrne, Tom Jones und Nina Persson zusammengeschustert hatte. Das klang beklemmend, was meine Gefühlslage widerspiegelte, und die sah man mir offenbar auch an, denn als ich im Treppenhaus Frau Krüger begegnete, sagte sie: „Was ist denn heut mit Ihnen los? Sie sind doch sonst immer so fröhlich.“ Meist wünschten wir einander nur kurz Guten Tag. Frau Krüger und ihr Mann wohnen auf derselben Etage; ganz gewöhnliche Rentner, normal und durchschnittlich. Im Amtsdeutsch hieße das: keine besonderen Kennzeichen. Dunkel erinnerte ich mich: Als ihr Mann den Siebziger hatte, hingen Girlanden um die Wohnungstür und sie hatten Gäste. Nix Besonderes. Besagte Feier verlief nach außen hin unauffällig und auch sonst schien mir ihr Leben banal, eingefahren, ja fad und ohne spezifische Merkmale. Das Gros der übrigen Mieter sah das vermutlich ähnlich. Nun, dieser Tag sollte neue Messlatten anlegen.
Noch deutlich vor zehn – einfach gar nicht meine Zeit – kam ich an jenem Vormittag aus der Apotheke, mit meiner allerersten Packung Ramipril; wobei der Singsang in meinem Kopf mich subtonal mit der Frage konfrontierte, ob ich überhaupt noch ein „ordinary guy“ sei und nicht bereits out und abgeschrieben; ich würde das Zeug ja fortan schlucken bis kurz vor Kiste. Still hörte Frau Krüger mein Klagen, obwohl wir ihre Wohnungstür bereits erreicht hatten. Die stand offen und darin ihr Mann, der ebenfalls schwieg.
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