Bluten und Banden bilden!
Bedeuten Bücher im Antiquariat noch Kapitalismus oder schon Backlash? Mieze Medusa über Margit Hahn.
„Menstruiert wird nie, nicht einmal andeutungsweise“, analysiert Ruth Klüger in ihrem bahnbrechenden Band „Frauen lesen anders“. Deshalb ist es doppelt frustrierend, dass Margit Hahns Bände „Einsamkeit der Lust“ und „Die kleinen Fallen der Lust“ kaum mehr zu finden sind. In den knapp gehaltenen Erzählungen dürfen Frauen alles: Ihre Kinks ausleben, in Sexshops gehen, im Rollstuhl sitzen, trotzdem lieben und ihre Bluse öffnen, auch wenn die Hand, die dann reingreift, ein bisschen grauslig ist, sich mit dem Schirm gegen die Ignoranz wehren und nach dem Blutbad mit der Gabel in eine Torte stechen und war das jetzt noch eine grellbunte Fantasie oder war das schon Mord?
„Im Grunde ist das eine Sklavenliteratur“, sagt Ruth Klüger. Über welche Literatur genau sie in „Frauen lesen anders“ schreibt, darf selbst nachgelesen werden. Wie gut kann ich mich erinnern, an die Aufregung, als ich die andere Literatur entdeckte. Literatur, die mich gesehen hat. Die meine Verwirrung (Sex), meine Unsicherheiten (Karriere) und den Nachgeschmack meiner Sehnsucht, denn wie funktioniert Liebe in Zeiten des Patriarchats, erzählwürdig gesetzt hat. Die Frau öffnet nicht nur die Bluse und wartet ab. Nein. Sie handelt und das ist nicht immer schön. Mal tropft das Gleitgel, mal das Menstruationsblut. Keineswegs führt Sex immer zu Glück und Sicherheit oder, welch bescheidener Wunsch, zu einem weiblichen Orgasmus. Aber von der Schuld befreit ist er. In den Texten wird ohne den Blick von außen geschwitzt, gegrunzt und gefordert. Ist die Lust der Frau in diesen Texten schon souverän? Nein, sie ist verstrickt mit dieser Welt und den Erwartungen. Dennoch: Etwas ist aufgebrochen und etwas Wildes schimmert durch. Was habe ich gesucht nach so einem Aufbruch! Jetzt liegt der Aufbruch im Antiquariat. Ist das noch Kapitalismus oder ist das schon Backlash?
Rein in die Wühlkiste. Haben wir bitte keine Angst davor, uns ein wenig dreckig zu machen, wenn wir Bücherkisten durchsuchen. Haben wir doch bitte keine Angst davor, uns ein bisschen nackig zu machen beim Lesen. In der Gegenwart gibt’s übrigens Parallelen. Was ist das jetzt noch mal genau, dieses feministische Schreiben? „Margit Hahn findet keine neue Sprache, keine, die aufzeigt, was Herrschaft heißt. Keine, die sich mit Identität, weiblicher Identität auseinandersetzt“, so Claudia Seidl auf literaturhaus.at über ein späteres Buch, Rezensionen aus den frühen 90er-Jahren finden sich nicht automatisch im Internet. Gertraud Klemm wundert sich im Gespräch mit Johanna Öttl im Rahmen ihrer Corona-Lesung in der Alten Schmiede darüber, dass ihr Schreiben als zu wenig feministisch gilt, weil es zwar das Problem aufzeige, aber keine Lösungen anbiete. Das Video findet sich im Internet1. Es hat deutlich mehr Views als mein Video in der gleichen Reihe. Aber erst einen Kommentar und der ist von mir. Lasst uns das ändern, raunt mir Margit Hahn zwischen den Zeilen zu. Zwischen ihren Zeilen habe ich mich damals gefunden. Heute schreibt eine junge Autorin mit ähnlichem Furor und ähnlich drastischen Bildern. Sie heißt Lena Johanna Hödl und ihr Roman „Emotionaler Leerstand im privaten Eigentum“ ist genau das, was ich damals hätte lesen wollen und was mir heute auch noch bis in die Zehenspitzen taugt. Ironischerweise habe ich Skrupel, ihn meiner lesebegeisterten Nichte zu schenken. Ist das noch Fürsorge oder ist das schon Backlash? Die Nichte ist volljährig und trotzdem denkt sich die besorgte Tante: Vielleicht ist ihr das Buch ja zu nackig. Verschenk das Buch, raunt mir Margit Hahn zwischen den Zeilen zu und ja: Das mache ich.
1 Gertraud Klemm: Corona-Lesung
Margit Hahn: Einsamkeit der Lust. Wiener Frauenverlag: Wien 1992.
Margit Hahn: Die kleinen Fallen der Lust. Wiener Frauenverlag: Wien 1994.
Hinweis der Redaktion: Die beiden Werke von Margit Hahn sind nur noch über Antiquariate zu beziehen bzw. auf dem Amazon-Portal der Autorin.
Margit Hahn: Einsamkeit der Lust. Die kleinen Fallen der Lust. Das Margit-Hahn-Lesebuch. Milena Verlag: Wien 1997. Hinweis der Redaktion: Auch dieser Titel ist nur mehr über Antiquariate zu beziehen.
Lena Johanna Hödl: Emotionaler Leerstand im privaten Eigentum. Achse Verlag: Wien 2020. Hier erhältlich
Ruth Klüger: Frauen lesen anders. dtv: München 1996. Neuauflage im Wallstein-Verlag