Musik ist Trumpf!
Ein Pop-Lesebuch, kuratiert von Heimo Mürzl und Wolfgang Pollanz, fordert „Noch mehr Lärm!“
Lauter Lärm hieß der erste Sammelband, den Heimo Mürzl und Wolfgang Pollanz – unserer Leserschaft auch durch Beiträge in diesem Magazin als Verfechter eines avancierten Popbegriffs vertraut – kuratiert haben, um sich dem Phänomen Pop-Musik anzunähern. Wir schrieben das Jahr 1994, in den österreichischen Charts standen u.a. Mo-Do mit Eins, zwei Polizei oder Rednex mit Cotton eye Joe auf Platz eins, weltweit feierte der Eurodance, allen voran Ace of Base, eine große Party. Kurt Cobain erschoss sich am 5. April des Jahres und Kristen Pfaff, Bassistin von Hole, der Band von Courtney Love, starb an einer Überdosis. 1994 – kein gutes Jahr für die Musik aus verschiedenen Gründen also, auch wenn Bruce Springsteen mit Streets of Philadelphia einen seiner schönsten Songs veröffentlicht hat. Lauter Lärm versammelte damals Beiträge, die sich dem Thema Musik literarisch näherten, anders als nunmehr Noch mehr Lärm!, in dem Autorinnen neben Journalisten stehen, Musikerinnen und Musiker neben Bildenden Künstlern. Noch mehr Lärm! ist eine Bestandsaufnahme davon geworden, was Musik für Menschen ist bzw. sein kann. Die meisten – ach was, alle Beiträge sind von Menschen verfasst, die der Musik verfallen sind. Von Mieze Medusa über den Austrofred, von Karl Fluch zu Lukas Matzinger, von Nina Müller zu Dominika Meindl, um nur ein paar herauszugreifen – alles nachweislich von Pop und Rock Infizierte. Und so sind die Texte in Summe so etwas wie eine Verteidigungsschrift für die Kraft der Popmusik, für das revolutionäre Potenzial (Lukas Matzinger), für das Angebot, das uns die Rockmusik macht und das wir nur erkennen und annehmen müssen, um neue Horizonte zu entdecken, wie Karl Fluch schreibt. Die Stärke des Bandes liegt im Mix der Texte und Textformen. Neben den angesprochenen und sehr zu begrüßenden Lobgesängen auf die Pop- und Rockmusik finden sich in ihm auch Songtexte, fiktive Plattencover, Fotos sowie charmante Erinnerungen und provokante Befundungen, etwa wenn sich Herausgeber Wolfgang Pollanz auf die Suche nach dem größten Arschloch der Rockmusik macht und es u.a. in John Lennon findet oder wenn Irene Diwiak sich ohne falschen Genierer an ihre (kurzfristige) Liebe zu Tokio Hotel erinnert – das tut gut und verleiht dem Buch Kurzweiligkeit und der Leserschaft Amusement um dann wieder zu ernsthaften Themen umzuschwenken, etwa dem überaus problematisch geringen Anteil an Frauen in der Musik und im Musikbusiness (Nina Müller) oder der Frage, ob unsere neuen Hörgewohnheiten, aka Streamen, dazu führen, dass uns in Bälde vermittels Algorithmen komponierte Songs die Hörgänge verstopfen werden und also der Einstürzende-Neubauten-Song Hören mit Schmerzen apodiktischer war als beabsichtigt. Zugleich bekennt sich Günter „Bus“ Schweiger, langjähriger Redakteur des verdienstvollen österreichischen Musikmagazins skug, zu – Vorsicht: Produktplatzierung – Spotify, „einfach weil die wichtigen Dinge so sind, wie sie immer waren: Die Freude, einen Song entdeckt zu haben […] ist noch immer enorm und bereichernd. […] It’s about Leidenschaft, Baby.“ Und damit wäre eigentlich genug gesagt über dieses sehr zu empfehlende Kompendium, oder, um mit einem der ganz Großen des österreichischen Musikjournalismus zu sprechen, dem viel zu früh verstorbenen Werner Geier: „Over and out!“