Womit verbringe ich eigentlich meine Zeit?
Anfang der 1960er-Jahre wurde die deutsche Filmeditorin Barbara Hennings bei einem Vorstellungsgespräch gefragt, was sie sich unter dem Beruf Filmschnitt vorstelle. Sie antwortete: „Längen vermeiden“.
Mich treibt die Frage um, was ich werde, wenn ich groß bin. Ich interessiere mich für Lebenswege, spreche mit vielen Menschen über ihre Berufe, identifiziere mich. In den letzten zehn Tagen habe ich mir vorgestellt, Grinbergtherapeutin, Antiquitätenhändlerin und Script-/Continuity-Verantwortliche an Filmsets zu werden. Und selbstverständlich: Filmeditorin. Die, die sich darum kümmert, dass jedes Bild die ihm zustehende Bedeutung, Dimension und Zeit erhält. Ein Beruf Gottes.
Während ich – im Gegensatz zu Gott – am Klo sitze und über mögliche Berufe nachdenke, frage ich mich: Womit verbringe ich eigentlich meine Zeit? Was ist das überhaupt, ein produktiver Mensch? Vom Klo gehe ich durch unser Vorzimmer in die Küche und trete dort auf ein eisiges, hartes Kügelchen. Ich kletzle eine zerquetschte Tiefkühlerbse von meiner rechten Fußsohle, schneide einen Apfel auf, lege die Spalten in ein Schüsserl, gehe damit zurück durch das Vorzimmer, hebe im Wohnzimmer einen Kochlöffel, ein Schaffell, einen umgefallenen Hocker auf, folge weiter der Spur der Tiefkühlerbsen und bringe meiner Tochter die bestellten Apfelspalten ins Schlafzimmer, wo sie Tiefkühlerbsenlutschend am Bett sitzt und ein Buch anschaut. Am Schlafzimmerboden finde ich ein reiches Betätigungsfeld vor: Bücher, Unterhosen, Einhörner, Bälle, Stifte, Papierschnipsel, Klebbandkugeln, Haargummis, Barbiestöckelschuhe und Staub, der sich an den Rändern des Zimmers zu Gebilden zusammenrottet, deren Bezeichnung auszusprechen mir Freude macht: Lurch. Ich habe eine Antwort: Ich verbringe meine Zeit damit, mich zu bücken. Das mache ich andauernd: Ich bücke mich.
Viel ist zur Überforderung von Müttern gesagt worden, wenig wird jedoch über den Körper gesprochen. Den Körper, der hält, umarmt, beschützt, der sich um der Eindämmung des Chaos willen bückt und bückt und bückt. Der häusliche, inwärts gerichtete Körper, der Kümmerkörper, der ebenso unmerklich wie unausweichlich verkümmert, so der Geist, der in ihm lebt, nicht für Abwechslung sorgt, für Spitzen, die eine Routine aus Wecker-Frühstück-Schule, Computer-Kollegen-Mittagessen, Abholen-Abendessen-Zähneputzen, Bücken-Bücken-Bücken durchbrechen. Auch dieser Text ist nebenbei entstanden. Scharlach, Schularbeiten, Schmutzwäsche haben die Textarbeit aus- und andauernd unterbrochen.
Die Arbeit der Mutter, und mit „Mutter“ sind alle gemeint, die Vierundzwanzig-Sieben im Einsatz und Bereitschaftsdienst für Heranwachsende sind, ist lustig und belastend, sie ist frustrierend und beglückend, anstrengend und inspirierend, kräftezehrend und energiegeladen, nervtötend und stärkend, sie definiert sich über Tätigkeiten, zu jeder Zeit, zu allen Zeiten. Sie zieht sich in die Länge, zeichnet sich dadurch aus, dass kein Produkt entsteht und ihr Ergebnis nicht lange sichtbar ist, sie nie erledigt ist. Ein Bereich, in dem die Währung nicht Geld für Zeit ist, ein Bereich, der sich mit der neoliberalen kapitalistischen patriarchalen Ordnung spießt.
Aus gebückter körperlicher Haltung heraus erwächst nichts Großes. Völlig unmöglich ist es, in gebückter Haltung laut zu schreien. Allerdings ist das laute Schreien über die Größe einer Tat ebenso wichtig, wenn nicht bisweilen wichtiger als die Tat an sich. Oft wird eine Tat erst durch lautes Schreien groß. Ich habe wenig Bedürfnis nach Großheitskikeriki, weder aktiv noch passiv. Aktiv bestünde zwar die Notwendigkeit, jedoch habe ich keinen Ressourcenrest, um laut und ausdauernd zu schreien. Ich kann es nicht. Denn im Gegensatz zum Gockel, und mit „Gockel“ sind alle gemeint, die lauter schreien, als sie groß sind, bücke ich mich.
Die vollständige Version des Textes finden Sie in der gedruckten Ausgabe des Hefts.