Das Raunen der Albe
I.
Das neue Coronavirus ist nun auch in Europa angekommen. Hierzu werden auch in Österreich Vorkehrungen getroffen. Im Gesundheitsministerium und an den Flughäfen herrscht rege Aufmerksamkeit. Experten geben aber Entwarnung, Grund zur Sorge gäbe es in Österreich bislang nicht.
Frau Albe horchte auf diese Nachrichten. Ein neuartiger Virus mochte gut und gerne China befallen, aber in Österreich brauche man sich ja soweit keine Sorgen machen. Es wurde wohl wieder Sensation gemacht. Sie blickte auf das Bild ihres verstorbenen Mannes und horchte dahin. Es vermeldete sich nur ein kleiner Druck auf ihrer Brust, sonst kaum etwas.
Manchmal sah sie das Bild etwas eigenartig im Gestelle glänzen, aber sie war ja auch schon alt. Man konnte sich nicht mehr auf jeden Eindruck verlassen. Die geistigen Rinden gaben schon ein wenig nach.
Sie hievte sich mit aller Kraft vom breiten und tief eingeknautschten Fauteuil hoch und trieb sich in ihrer knorpelnden Masse bis zum Fenster vor. Im Innenhof hallten die vielen in Gerüche gefetteten Stimmen aus dem Gastgarten empor. Zum quadratisch eingefriedeten Himmel hoch stoben sie auseinander und mancher Hall schlug sich besonders hartnäckig in den Azur hinauf. Ab und zu hörte man Geschepper aus der Küche, selten das vielfarbige Mordgeschrei des Chefkochs. Die Albe hatte ja viel gehört, er war im Häfen gewesen wegen Totschlags, einmal ein Messer in der Küche nach dem Lehrling geworfen und Alkoholiker, man hört vieles, was weiß man denn schon. Die Leute reden so gern. Die Dämpfe der Gastwirtschaft vergällten ihr oft genug die Zimmeratmosphäre, aber so sehr sie auch darüber schimpfte, so verbrachte sie doch viel Zeit an diesem Fenster. Das Getümmel im Hof erregte ihren Geist. Ein kleines Geheimnis (vielleicht war es auch ihr selber so halb geheim): Manchmal, wenn das Fenster offenstand und sie am Brette lehnte und im warmen Nachmittagslicht einsinkend so etwas vor sich hindämmerte, dann „schlürfte“ sie so ein bisschen die Luft.
Das mag dunkel bleiben, aber ihr verstorbener Ehemann Hannes hatte damals sehr gerne die Geschichten vom Goldwaschen gehabt. Einer seiner Urgroßonkel aus Tirol war im ausgehenden 19. Jahrhundert nach Amerika überschifft, um mit dem Goldwaschen reich zu werden. Hannes liebte diese Geschichten bis zu seinem Ende und hatte sich seinem Onkel sehr verbunden gefühlt, auch wenn er ihn gar nie kennengelernt hat.
mehr im Heft