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Heft 44

Erschienen in Heft 44, nachgefragt
Ressort: Kunst

Die Herrschaften

Maria Schigan

Es handelt sich um den Ausbau eines Nebensatzes, der im fluchtartigen Treten von Pedalen seine erste Form bekommen hat: Bin zwölfjährig auf der Landstraße zwischen G. und E. unterwegs, der Sonntag hat einen Trachtenjanker an und schwitzt. Ich kann nichts gegen ihn sagen, nur gegen seine letzte halbe Stunde, die außerhalb von mir geschehen ist. Auf fremder, übergroßer Leinwand, für die ich nur eine Beobachterin bin und diejenige, die sie ganz weit nach hinten in die Abstellkammer räumt, sobald ich nachhause komme.

Bisher kannte ich das nur aus Büchern: Dass sie einem so auf der Brust und im Kopf herumwandern, dass man sie wie zu große Schuhe schnell wieder loswerden muss. Zum Einzug in das neue Haus habe ich Die schönsten Geister- und Gespenstergeschichten bekommen, denen leider ein Untertitel mit dem Hinweis fehlt, sie nicht vor dem Einschlafen aufzuschlagen. Seit ich mich an ihnen überlesen habe, stehen sie wieder ganz hinten im Regal und kommen mir nur mehr selten ins Gefühl, wenn ich im dunklen Zimmer Verdrehungen des Tages vornehme und versuche, den Sprung in den nächsten Morgen zu schaffen. Dann höre ich meistens eine alte Frau, die sich in einer Ecke des Zimmers erhebt, raschelndes Stroh, ein Ächzen und Stöhnen, einen klirrenden Gedankenabbruch:

In der Küche stürze ich ein Glas Wasser hinunter und suche die letzten dreißig Minuten nach Bildern ab, aber ich finde nur den Morgen – Hände, die über den Tisch zum Brotkorb fliegen, Kaffee- und Kakaotassen, Semmeln und Marmelade. Dann die Frage, wer heute in G. und wer in E. zur Messe geht. Die redaktionelle Notiz, dass Peter und Paul für den Großteil der Menschen mittlerweile einfach zwei etwas einfallslose Namen sind (Croissants ohne Füllung), während die Pfarrbevölkerung von G. in ihnen einen Festtag sieht, an dem sie ihr geistiges und leibliches Wohl sicherstellen kann und meine Mutter meine Funktion als Ministrantin: Sie braucht für E. jemanden, sagt sie, es können nicht immer alle nur nach G. rennen, auch wenn heute Pfarrfest ist. Dass der Altpfarrer ohne mich Gefahr läuft, den Weihrauch in Leib und Blut Christi zu verwandeln und mit den Leuchtern das Altartuch in Brand zu stecken, denkt sie sich dazu, sagt es aber nicht. Ich könnte ja später nach G. nachkommen.

Meine Geschwister sind zufrieden und ich fische nach dem Zähneputzen mein Fahrrad aus dem Geräte- bzw. Müllraum, passe auf, dass die Reifen von Glassplittern und Metalldeckeln keinen Schaden nehmen und rolle den Bürgerwald und die anschließende Gasse hinunter. Die Hecken und Bäume bewegen sich mit mir wie Insekten und Vögel und Blütenstaub, ein kleiner Juni-Himmel mit frisch aufgeschlagenen Decken heißt Wolken über dem Pfarrhof.

Zwischen den steinernen Stufen zur Sakristei und dem grau-zerknirschten Auto der Mesnerin komme ich zum Stehen, springe ab und ziehe mich im Zeichen der Kirchenglocken um.

 

 


Die vollständige Version des Textes finden Sie in der gedruckten Ausgabe des Hefts.

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