Nein nein nein! Die schreibkraft ist keine Literaturzeitschrift. Davon gibt es eh genug. Insbesondere in Graz, der Hauptstadt hoffnungsfroher Manuskripte und nach Publikation und Perspektive lechzender Poesie, der Lichtungen im ge- und verdichteten Unterholz der ungelesenen Bücher. Aber doch beschäftigen auch wir uns immer wieder nicht nur (wie der Name schon sagt) mit dem Prozess des Schreibens sondern natürlich auch mit Literatur in all ihren Kontexten. Business as usual also? Nicht ganz! In dieser Nummer intensivieren und verdichten wir unsere Bemühungen und widmen uns ausschließlich dem weitläufigen literarischen Feld in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen.
Wie etwa unterscheidet sich der Literaturbetrieb in Deutschland von dem in Österreich? Durch hemmungslose Kommerzialisierung und rasant sinkendes Niveau, meint Cordula Simon und stellt vergnügt fest: „Die Putzfrau eines beliebigen österreichischen Literaturhauses hat ein größeres Vokabular als die Mitglieder des PEN, die mit „Arschloch“ und „Würstelbude auskommen müssen“.
Ins Horn der Kommerzialisierungskritik stößt auch Bernhard Horwatitsch: Viele Autor:innen würden wie Lohnsklav:innen arbeiten, konstatiert er, sie produzierten einfach Texte für den Markt. Wie gut, dass es seit Kurzem ein Tool gibt, um diese Lohnsklavenambitionen auch in geordnete Bahnen lenken zu können.
Das Programm LiSA (Literatur Screening & Analytik) der Kulturwissenschafterin Gesa Schöning und des Mathematikers Ralf Winkler kann – angeblich – die „Bestseller-DNA“ in Texten erkennen. Enthält ein Text im Schnitt 19,3 Prozent Verben, 19,8 Prozent Substantive und 7,3 Prozent Adjektive ist der Weg in die Spiegelbestseller-Liste nicht mehr weit.
Schlimm? I wo, meint Stefanie Golisch, schließlich gebe es in der Literatur kein richtig oder falsch, kein zulässig oder unzulässig. „Ihre Wirkungen konstituieren sich unwägbar in der Begegnung mit jedem neuen Leser,“ jeder neuen Leserin. Doch, doch, meint hingegen Ludwig Wittgenstein, der uns sein berühmtes Diktum, „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, mit auf den Weg gibt. Insofern wären die einsehbaren Landstriche der österreichischen Putzfrau deutlich weitläufiger als die ihrer deutschen PEN-Club-Kolleg:innen – trotz vergleichsweise bergiger Topographie.
Wie will und kann sich Literatur zeitgemäß vermitteln, was sind ihre puristischen, publizistischen, performativen, hilfreichen und unbeholfenen, guten, schlechten, rechten, linken, liebevollen oder liebestollen Wege und – naturgemäß – Umwege zur Leserin (manchmal auch zum Leser, die Minderheit ist mitgemeint)? Und wie geht es ihren Produzent:innen? Wie leben und überleben sie? Warum schreiben sie? All diese Fragen werden, wenn schon nicht beantwortet, dann zumindest thematisiert.
Und natürlich kann Literatur auch ganz handfeste, pragmatische Zwecke erfüllen: Die grafischen Seiten dieser Ausgabe gestaltet der französischen Künstler David Jourdan, der für die Edition Wiener Times bekannte Bücher in keramische Objekte verwandelt – die Nutzung als Briefbeschwerer, Topfuntersetzer oder Servierteller ist dabei schon mitgedacht.