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Heft 36

Erschienen in Heft 36/37, ordinär
(Doppelnummer 36/37)
Ressort: Kunst

Der Hut

Sibylle Severus

Der Fremde schaute immer aus dem Fenster im ersten Stock, die Unterarme auf einem  Kissen, den Hut auf dem Kopf, das Jackett eines Zweireihers über kragenlosem Hemd.

Als Herr Kim Jong-un mit der Eisenbahn von Pjöngjang zu Herrn Putin nach Wladiwostok reiste, trug er einen Hut auf dem Kopf. Zunächst fragte ich mich, ob Herrenhüte aus Biberhaarfilz, handgebügelt, mit Seidenripsband, in Nordkorea Mode sind oder in Russland. Nie sah ich in letzter Zeit in den Medien Politiker mit Haarfilzhüten. Während ich nach einem Grund für die Kopfbedeckung suchte und keinen fand, denn Herr Kim hat reichlich kohlschwarzes Haar, fiel mir der Mann im Fenster wieder ein. Auch er hatte genügend Haar gehabt, eisgraues, und keinen Grund, es zu verstecken.

Wenn der Flüchtling, Herr András, damals im Innenhof des Mehrfamilienhauses Holz gehackt hatte, trug er ebenfalls den Hut – meine ich, mich zu erinnern. Genau weiß ich noch, wie er mit dick verbundener Hand herumlief. Er hatte sich aus Versehen beim Holzhacken den rechten Daumen abgetrennt, der ungeschickte Jurist und Linkshänder, der er war. Der fehlende Finger fiel nicht weiter auf, bei den vielen  Kriegsversehrten im Land. Doch wenn man ihm die Hand geben wollte, fehlte der Daumen.

Sein Studium der Jurisprudenz an einer ungarischen Universität hatte in unserem bayerischen Ort rein gar nichts genützt. Wenn schon Studium, dann Medizin, oder einen Ingenieur im Brauwesen, das hätte Türen geöffnet.

András hatte redlich versucht, sich nützlich zu machen. Er hatte das Holz, das seiner Vermieterin (einer Hiesigen) vom Forstamt jährlich zugeteilt wurde, in kachelofengerechte
Scheite hacken wollen. Der Versuch missriet. Und nun?

Nun sah der Mann aus dem Ungarnland aus dem Fenster/ stundenlang/ mit dem Hut auf  dem Kopf.

 

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