Klaus ist an diesem Tag, an dem das alles geschieht, 38 Jahre, 142 Tage und 10 Stunden alt. Am Donnerstagabend letzter Woche entschied er sich, für einige Tage in den Süden zu verreisen. Das tut er – wenn es die Arbeit erlaubt – mindestens einmal im Jahr. Meist, wenn der Frühling Einzug gehalten hat. Klaus arbeitet in einer Werbeagentur, hantiert im Alltag mit Texten, Sprüchen, Überschriften. Aber das ist nicht alles. Er glaubt fest daran, dass er zu mehr berufen ist, als nur schnöde Auftragswerke und Textbausteine zu produzieren. Klaus will Literat werden, Autor, Erzähler. Zu mehr als einigen Kurzgeschichten, die bei Wettbewerben bisher nicht reüssieren konnten, langte es nicht. Noch nicht, wie er immer betont.
Es ist ein warmer Frühsommertag. Die Zypressen und Pinienwälder verströmen ihren betörenden Duft, der für ihn so stark und intensiv Süden beschreibt. Er ist in einen teuren anthrazitfarbenen Armani-Anzug gehüllt, hat gewagt, ein karmesinrotes Hemd ohne Krawatte anzuziehen, und trägt seine teuren Schlüpfer ohne Socken, so wie er es bei Männern im Süden häufig gesehen hat.
Klaus ist auf der engen und gebirgigen Straße viel zu schnell unterwegs. Weil das zu ihm gehört, weil das den Kitzel ausmacht. Traurig und erhaben, melancholisch und euphorisch und vor allem betört von sich selbst und seinem blitzroten Alfa-Sportcabrio, lenkt, schaltet, gibt Gas, bremst, trinkt aus dem Coffee-to-go-Becher und testet die Tourenzahlen und den besten Beschleunigungspunkt seiner Gänge. Aus den Lautsprechern dröhnt Turandot von Puccini. Er hört die ersten Noten von „Nessun dorma“, die großartigste Arie, die er kennt, wie er nicht müde wird zu betonen. Sein Handy läutet, das auf dem Beifahrersitz liegt. Er schaut auf das Display. Sie ruft an, aber er will mit ihr jetzt nicht reden, nicht jetzt. Drückt sie weg.
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