Mein Ausflug in die Gemeinschaft.
Erst in meinem 42. Lebensjahr ging mir die Kraft im Ringen um Individualität aus. Eine mittlere Befindlichkeitskrise, eine über Tage anhaltende Stimmungseintrübung im September führten mir vor Augen, dass ich nichts Besonderes war und auch nicht mehr werden wollte. Vielleicht hatte die Wetterberichterstattung Anfang August den Keim gelegt, die zur Halbzeit schon von einem „außergewöhnlich durchschnittlichen Sommer“ sprach, und ich las das mit dem mich selbst überraschenden Gefühl einer grundlegenden Zustimmung. Das müsste doch reichen, dachte ich, und dass ich wahrscheinlich ohnehin nie das Zeug für einen Platz an der Spitze gehabt hatte, in keiner Sparte – abgesehen von Selbstboykott und Mittelmäßigkeit.
Als der Nussbaum also begann, mit seinen fallenden Blättern den Pool (Normanfertigung Stahlwandbecken, 6 Meter Ø) zu versauen, erlosch in mir das Bedürfnis, mich von anderen abzugrenzen, vor allem nicht durch Exzellenz. Von der Scham befreit, etwas Besseres zu sein, legte ich mich hin wie müdes Laub. Ich fühlte mich nach diesem Distinktionsinfarkt wie Bobby McGee in Baton Rouge, es war o. k., dass es nur o. k. war. Es war wie in die Hose machen im eisigen Ozean, es war wie das Entzünden des letzten Zündhölzchens vor dem Erfrierungstod. Es war melodramatisch und unglaublich entspannend. Ich hatte nicht einmal das Gefühl, dass das ein gutes Statement gegen die neoliberale Leistungsgesellschaft sei, ich war gegenüber meinem eigenen ständigen Meinen und Interpretieren und Sondieren und Kategorisieren ertaubt. Als sei ein alter Tinnitus verklungen.
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