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Heft 32

Erschienen in Heft 32, durchlesen
Ressort: Rezensionen

Rosemarie Poiarkov:
Aussichten sind überschätzt.

rezensiert von Clara Posch

Mitten in der Gegenwart

Rosemarie Poiarkovs Romandebüt Aussichten sind überschätzt kommt als reizvolle Melange aus Familiengeschichte, Gesellschaftsstudie und Vergangenheitsbewältigung.

„Die Welt ist blau wie eine Orange“, lässt uns Rosemarie Poiarkov wissen, bevor wir in die Handlung ihres Romans eintauchen. Eine Erkenntnis, über die wohl jeder irgendwann in seinem Leben zu stolpern pflegt. Auch Luise, Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrerin, der wir zum ersten Mal kurz vor einem Flug nach Mexiko begegnen, wo sie eigentlich nicht wirklich hinwill, ihrer Flugangst sei Dank. Aber sie fliegt schließlich doch, und das ist gut so, denn ohne Mexiko würde es diese Geschichte so nicht geben. Auf einem Markt in besagtem Land entdeckt Luise nämlich eine braune Tonwalze, die die Autorin zum roten Faden ihrer Erzählung werden lässt, wenngleich manchmal nicht Luise selbst berichtet, sondern ein personaler Erzähler, der das Innenleben der Figuren umfassend darlegt. Das Besondere an der Walze: Sie stammt aus dem Wien des Jahres 1903, und auf ihr spricht das Luberl, wohnhaft in der Praterstraße 64. Was es für die Nachwelt festzuhalten versucht, ist freilich beinahe unverständlich, und Luise macht es sich zur Aufgabe, das herauszufinden.
Doch für jeden sagen die Worte, sagt das Lachen auf der Walze etwas anderes.

Lebte das Luberl tatsächlich in einer Welt aus Schwarz und Weiß? Wurde es während der Aufnahme gekitzelt? Und wie kam es vor über hundert Jahren überhaupt dazu, in einen Trichter zu sprechen? Im Laufe der Erzählung erfahren wir nach und nach nicht nur mehr über Luise und die Probleme, denen sie sich aufgrund einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in ihrem „Frauenberuf“ gegenübersieht, sondern auch über die Menschen, die hören, zuhören, nachhören, die Walze zu einem Teil ihres Lebens werden lassen: Luises Lebensgefährten Emil, von Beruf Tonarchivar, der durch seine Ohren lebt und sich winters auf der Alten Donau eine Geräuschverkühlung holt. Luises beste Freundin Julia, die ihrer entfremdeten Mutter aufgrund deren Alkoholsucht wieder näherkommt, und ihren fantasievollen kleinen Sohn Felix. Den schüchternen Milan, der aus Novi Sad eine verzehrende Sehnsucht nach der schönen Zorica mit nach Hause bringt, mit der er das wunderbarste Gespräch seines Lebens geführt hat, obwohl sie nicht einmal seine Sprache spricht. Und Luises Vater Josef, der die Stadt durchstreift, allein, mit dem Körper im Jetzt und dem Kopf in einer anderen Zeit. Die Stadt: Das ist das Wien von heute, der Ort, an dem die Protagonisten atmen, leben, träumen, lieben. Und den Momenten des Alltags lauschen. Es passiert nicht viel in diesem Roman. Es ist das scheinbar Kleine, Unwichtige, das zur Hauptsache wird und im Gedächtnis bleibt: was mit dem mexikanischen Hustensaft im Handgepäck auf Luises Heimreise nach Wien geschieht; wie sich das Wasser unter der Eisschicht auf der winterlichen Alten Donau anhört; wie durch das Verlangen nach einem Menschen plötzlich alles, was davor war, an Wert verliert. Das Alltägliche und das Zuhören, diese beiden Dinge treten hier nach vorn, zwei Dinge, die sonst stets hinter ihren mächtigeren Pendants zurückstehen müssen: dem Besonderen und dem Sehen. Die Sequenzen werden locker aneinandergereiht und sympathisch selbstironisch erzählt, und Leopoldstädter werden sich besonders freuen, wenn sie beim Lesen gemeinsam mit
dem alten Josef Grasl durch ihren Bezirk streifen und altbekannte Ecken und Plätze besuchen dürfen. Aussichten sind überschätzt ist das Romandebüt der Wienerin Rosemarie Poiarkov, die Philosophie, Germanistik und Politikwissenschaft studierte und ebenso wie ihre Protagonistin Luise als Deutsch-als-Fremdsprache-Trainerin arbeitet. Es ist eine kluge Erzählung, feinsinnig, oft beinahe poetisch, rundum rund, zufrieden stimmend und doch zum Nachdenken anregend. „Töne sind wie die Zeit: immer gerade gegangen, immer gerade im Kommen“, heißt es an einer Stelle. Schöner lässt sich die Grundstimmung des Romans wohl nicht zusammenfassen.

Rezensionen

Buch

Tanja Paar:
Die Unversehrten

2018: Haymon, S. 160
rezensiert von Werner Schandor

Federleicht erzählte Tragödie Tanja Paars „Die Unversehrten“ führen in den Abgrund des Zwischenmenschlichen hinab. „Die Unversehrten“ heißt Tanja Paars Debütroman, aber auf dem Umschlag ist über den Titel ein feiner

Buch

Nadia Rungger:
Das Blatt mit den Lösungen. Erzählungen und Gedichte.

2020: A. Weger, S. 152
rezensiert von Nina Köstl

Die Besonderheiten der alltäglichen Dinge Nadia Runggers „Das Blatt mit den Lösungen“ – ein überzeugendes Debut. In ihrem 2020 erschienen Buch Das Blatt mit den Lösungen entführt Nadia Rungger ihre

Buch

Katharina Körting:
Rotes Dreieck. Chronik eines Verrats.

2018: Kid Verlag, S. 228
rezensiert von Werner Schandor

In der PR-Maschinerie Im Roman „Rotes Dreieck“ gerät eine aufrechte Texterin in das Räderwerk eines Wahlkampfs. Eine uralte amerikanische Blues-Weisheit lautet: „You can’t judge a book by it’s cover“ (Willie

Buch

Roman Markus:
Dings oder Morgen zerfallen wir zu Staub

2020: Droschl, S. 232
rezensiert von Hermann Götz

Wie war das noch mal? Roman Markus hat mit „Dings“ einen wunderschönen Roman aus den 1990ern geschrieben. Natürlich ist es Zufall, dass der Autor Roman heißt. Und sein Roman (wie

Buch

Tonio Schachinger:
Nicht wie ihr

2020: Kremayr & Scheriau, S. 304
rezensiert von Heimo Mürzl

Der Käfigkicker Ein unwiderstehliches Solo auf der Schreibmaschine: Tonio Schachingers Debütroman „Nicht wie ihr“. Wer keinen Bugatti hat, kann sich gar nicht vorstellen, wie angenehm Ivo gerade sitzt. Tonio Schachinger

Buch

Werner Schandor:
Wie ich ein schlechter Buddhist wurde

2020: edition keiper, S. 200
rezensiert von Heimo Mürzl

Schotterbänke der Vernunft Werner Schandor hilft beim Nachdenken und plädiert für Menschlichkeit, Offenheit, Aufklärung und Humor.   Werner Schandor, der der Aufgeregtheit und Hektik, dem Tempo und Unsinn unserer Zeit

Buch

Bergsveinn Birgisson:
Die Landschaft hat immer Recht

2018: Residenz, S. 288
rezensiert von Hannes Luxbacher

Die Welt in Bergsveinn Birgisssons 2003 erschienenem Debutroman „Die Landschaft hat immer recht“ ist irgendwo zwischen banaler Realität, magischen Halluzinationen und bildreicher Vorstellungskraft angesiedelt. Es ist dem Residenz-Verlag hoch anzurechnen,

Buch

Christoph Dolgan:
Elf Nächte und ein Tag

2019: Droschl, S. 216
rezensiert von Werner Schandor

AUFGEZWUNGENE STARRE In Elf Nächte und ein Tag zeichnet Christoph Dolgan ein dicht gewobenes Psychogramm einer bedrückenden Freundschaft. Das heftigste Kapitel ist jenes, wo die Hauptfiguren Theodor und der Ich-Erzähler

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