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Heft 34

Erschienen in Heft 34, geht's noch?
Ressort: Rezensionen

Bergsveinn Birgisson:
Die Landschaft hat immer Recht

rezensiert von Hannes Luxbacher

Die Welt in Bergsveinn Birgisssons 2003 erschienenem Debutroman „Die Landschaft hat immer recht“ ist irgendwo zwischen banaler Realität, magischen Halluzinationen und bildreicher Vorstellungskraft angesiedelt. Es ist dem Residenz-Verlag hoch anzurechnen, dass der Roman endlich in deutscher Sprache (Übersetzung: Eleonore Gudmundsson) veröffentlicht wird, nachdem er 2011 offensichtlich übersehen wurde, als Island Gastland auf der Frankfurter Buchmesse war und zahlreiche deutschsprachige Übersetzungen durchweg älterer Werke erschienen.

Birgissons Roman gibt vor, auf den Tagebuchnotizen des Halldór Benjaminsson zu fußen, der als so empfindsamer wie aufbrausender Grübler im entlegenem Geirmundarfjord lebt, in einer Gegend also, die sich Touristen als prototypisch für die Einsamkeit Islands romantisch verklärend zurechtzimmern, auch wenn sie sich dann gleichzeitig am Ende der Welt wähnen. Diese Tagebuchnotizen wurden vom Bezirksvorsteher Sigursteinn Benónysson und seiner Frau gesichtet, editiert und als zusammenhängendes Manuskript einem „Herausgeber“ übergeben, um als das zu erscheinen, was sie sind: Zeugnis vom Leben in einer kaum besiedelten Gegend, in der es darum geht, dem Land und – mehr noch – dem Wasser das abzuringen, was es zum Leben braucht. Im Mikrokosmos des Geirmundarfjord ist dennoch alles existent, was den modernen Menschen der westlichen Welt beschäftigt, auf Trab hält und über die aßen vor sich treibt. Es geht um Fischfangquoten, die vom Ministerium aus wirtschaftlichen Gründen reguliert werden und so den Fischern die Existenzgrundlage unter den Füßen wegziehen, es geht um Verwaltung und Bürokraten, die vom Schreibtisch aus Regelwerke erarbeiten, die vom täglichen Leben der Menschen, die diese Regeln einhalten sollen, nicht den Hauch einer Ahnung haben, es geht aber auch um die Macht der Phantasie und die Kraft der Literatur – denn natürlich darf in einem literaturvernarrten Land wie Island selbst in der Entlegenheit des Fischerdorfs eine Bibliothek nicht fehlen –, und nicht zuletzt geht es um Liebe und darum, um die Liebe seines Lebens zu kämpfen.

Der Roman wird bevölkert von einer Handvoll liebevoll gezeichneter Figuren. Der nach einem Schlaganfall ans Bett gefesselte Jonmundur erklärt Halldor von dort aus das Leben und die Schönheit der Welt, der depressive Pfarrer verzweifelt an der Verdinglichung des Lebens und der Rest der Fjordbewohner versucht ganz einfach das zu tun, was die Menschen immer schon taten: mit der Natur zu leben, von der Natur zu leben und glücklich zu sein, wenn man die Natur richtig lesen kann. Sowohl, um zu überleben, als auch, um ihre Schönheit zu erkennen. An keiner Stelle des Romans kommt das eindringlicher zum Ausdruck als an jener Passage, in der ein zugereister Student der Philosophie mit den Dorfbewohnern in Kontakt tritt: „Der Philosoph sagt, er studiere sein Fach, damit er die Welt besser verstehe. „Es war dann so“, berichtet Halldór, „dass manche zu den Bergen aufblickten und sagten, dass bei dem warmen Wetter viel Eis in den Rinnen geschmolzen war, und andere auf den Fjord hinausspähten und sahen, wie die Wellen an der Schäre anbrandeten und daher kein Wetter zum Fischen war, und dann blickten Ebbi und Bensi einander an, dann den Philosophiemann, und einer von beiden sagte: Was ist es, mein Freund, das du nicht verstehst?“

Die ganz große Kunst Birigissons ist es, die Themen Entbehrung oder Verzicht nicht als sinnstiftende Lebensform zu verkitschen, sondern einfach als das darzustellen, was es ist: das Ringen des Menschen um Sinn in einer Landschaft, in die er hineingeboren wurde und die zu verlassen er nicht die Möglichkeit oder den Willen hatte. Es ist auch das traditionelle Leben, von dem hier berichtet wird, und das durch das Fortschrittsstreben so gerne in Misskredit gebracht wird. Nicht zufällig beginnt jeder Tagebucheintrag mit einer Beschreibung des Wetters – für die Fischer eine Größe, die über Ausfahrt oder Verbleiben am Land, über Fang oder leere Netze, über Leben oder Tod entscheidet, und selten hat man so einfühlsam Worte über Wolken gelesen, noch seltener über das Wollgras. Die Landschaft hat immer recht ist ein seltsam aus der Zeit gefallenes Buch und zugleich ist es ganz zeitgemäß. Birgisson hat einen großen Roman voll Warmherzigkeit auf der einen und Zivilisationskritik auf der anderen Seite geschrieben, ohne in Pauschalurteile zu verfallen oder dogmatisch einfallslos der Tradition oder dem Fortschritt Recht zu geben.

„Die Landschaft hat immer Recht“ ist ein Werk, das überzeitlichen Themen skurril-charmante Facetten abringt und dem Leser vor allem mit den pointierten Dialogen regelmäßig ein ganz großes Lächeln ins Gesicht zaubert: „Aber kannst du sicher sein, dass es überhaupt irgendein Leben nach dem Tod gibt?“ fragt Halldór. „Das ist einfach zu beantworten, mein Alter“, sagt Gusi und knüpft einen Haken an die Leine: „Wir verlangen das einfach.“ Wenn Sie heuer nur ein isländisches Buch lesen möchten, dieses drängt sich auf.

 

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Die Landschaft hat immer Recht

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rezensiert von Hannes Luxbacher

Die Welt in Bergsveinn Birgisssons 2003 erschienenem Debutroman „Die Landschaft hat immer recht“ ist irgendwo zwischen banaler Realität, magischen Halluzinationen und bildreicher Vorstellungskraft angesiedelt. Es ist dem Residenz-Verlag hoch anzurechnen,

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